Warum kommt man NICHT nach Berlin?

… ja warum eigentlich nicht? Die Stadt ist großartig, kaum ein anderer Ort in Deutschland hat so viel zu bieten und sprudelt dermaßen vor Lebendigkeit. Warum also kommt man nicht nach Berlin, wenn es einem so nahe gelegt wird? Aber von Anfang an: Ich bin Kranken­haus­ma­nager in Hannover an der Medizinischen Hoch­schule und leite das Ressort für Kranken­versorgung. Studiert habe ich Medizin und bin Facharzt für Anäs­the­sio­logie.

Ich kenne also das Unternehmen Kran­kenhaus mit allen seinen Fa­cetten. Im Herbst letzten Jahres bekam ich einen An­ruf einer »Head­hunterin«, also einer Kopf­jä­gerin, die mich für den Posten des Krankenhaus­direktors der Charité ansprach. Die Charité! Was für ein klangvoller Name in der Kranken­haus­welt. Die größte Uni­versitätsklinik Deutsch­lands. In der Haupt­stadt – in Berlin. Was für ein Angebot. Natürlich war ich interessiert. Auch wenn mir schon damals klar war, dass sich die Charité in einer sehr schwierigen Situation befindet. Das schob ich erstmal beiseite, ließ mir die Unterlagen kommen und führte diverse Ge­spräche mit der Headhunterin, Prof. Ganten und vielen anderen, die sich in Berlin auskennen.

Um so ein Unternehmen zu führen, müssen drei Dinge stimmen: Der Eigentümer – hier das Land Berlin – sollte genau wissen, welche Ziele erreicht werden sollen. Steht die Wissenschaft im Vordergrund, soll es die Krankenversorgung sein oder ist der Erhalt von Arbeitsplätzen oberstes Gebot. Müssen alle Standorte erhalten bleiben? Soll jeder Lehrstuhl wieder besetzt werden, damit der Proporz zwischen den beteiligten Univer­si­tä­ten erhalten bleibt? Sollen einfach nur die Kosten ge­senkt werden ohne Rücksicht auf die Wis­sen­schaft? Nur wenn man als Manager die Vor­stel­lun­gen des Eigentümers kennt, kann man auch agieren.

Der zweite wichtige Punkt ist das Unter­neh­men. Hat es das Potenzial, die Vorstellungen des Eigentümers zu verwirklichen? Ist es gesund? Stehen die Mitarbeiter zu ihrem Unternehmen? Ist die Substanz von Gebäuden und Technik so, dass man auch arbeiten kann?

Der dritte Punkt ist die Organisation. Wer hat das Sagen, welche Gremien reden mit, wer darf ein Veto einbringen? Haben Entscheidungen Bestand oder werden sie »von oben« ganz schnell wieder kassiert, weil irgendjemandem auf den Fuß getreten wurde? Wie arbeiten Vorstände zusammen? Haben sie gemeinsame Vorstellungen, wo die Reise hingeht?

Diese drei Punkte müssen in einer ausgewogenen Balance sein. In keinem Unternehmen ist alles perfekt – aber handeln muss man können. Ich bin ein Kreativer. Mir macht es Spaß, schwierige Konstellationen zum Erfolg zu führen. Ich denke gerne mal quer, will was bewegen. Aber dazu brauche ich auch den Freiraum zum Denken und Handeln.

Die Charité hat das Potenzial, unter die Top-Ten-Universitätskliniken in der Welt zu kommen. Jetzt ist sie innerhalb Deutschlands zwar gut platziert, aber nicht da, wo sie hingehört: nach ganz oben. Die Charité ist ein Juwel und es wäre ein ganzes Diadem, wenn Berlin die Voraussetzungen schaffen könnte, dass Vivantes und die Charité zusammen wirken. Das Potenzial für klinische Studien und andere Projekte wäre unvergleichlich. Aber es reden zu viele mit. Der von mir sehr geschätzte Kollege Behrends hatte letztes Jahr einen Vortrag gehalten über die Entschei­dungs­wege in der Charité. Wer hat was zu sagen, wer darf mitentscheiden, welche Gremien muss man berücksichtigen. Als Zuhörer ist uns ganz schwindelig geworden vor lauter Pfeilen und Symbolen. Und wenn das auf einer Präsentationsfolie schon unübersichtlich ist, wie ist es dann im richtigen Leben? Ist die Charité überhaupt führbar?

Natürlich hatte ich auch ein Gespräch mit den Senatoren Prof. Zöllner und Dr. Sarrazin. Es war ein sehr gutes Gespräch. Wir haben über die von mir kritisch gesehenen Punkte offen gesprochen. Wir waren bei unseren Einschätzungen in vielen Punkten nicht auseinander. Aber das Hochschul­gesetz gilt, und es wird auf absehbare Zeit gelten. Und solange dieses Gesetz eine effektive Führung verhindert, wird es die Charité im internationalen Wettbewerb sehr schwer haben. Die Charité gehört an die Spitze. Das geht aber nur mit einem mutigen Umbau, bei dem der Vorstand viel Vertrauensvorschuss bekommt und nicht jede Kleinigkeit von der Politik diskutiert wird. Eine Strategie muss erarbeitet werden, die meines Er­achtens die Zielsetzung haben muss, in die Spit­zenliga der Universitätskliniken mit Harvard oder Stanford aufzurücken. Dazu gehört, die Zahl der Standorte zu reduzieren, die starken Ab­tei­lungen noch mehr zu stärken zu Lasten von anderen, die in diesem Wettbewerb nicht mithalten können. Es werden also Ressourcen wie Geld und Räume neu zu verteilen sein, was schmerzlich ist, aber unabwendbar. Die Charité kann auf so viel Exzellen­tem aufsetzen, aber es muss aber auch der Wille da sein, das Profil zu schärfen. Diese Zeit wird kommen. Jetzt ist sie noch nicht da.

Für mich standen also die Fragen im Raum: Mich für die Charité engagieren? Dabei viel Zeit zu investieren, die ich auch mit meinen Kindern verbringen könnte, für ein tolles Unternehmen, das aber nicht die notwendigen Rahmenbedin­gungen bekommt, sich zu entfalten? Kann ich etwas bewegen? Vertragen das Unternehmen und die Politik mich? – Jetzt noch nicht! Also blieb ich in Niedersachsen, das ganz anders mit seiner Universitätsmedizin umgeht. Es gibt eigentlich keinen guten Grund, nicht nach Berlin zu kommen. Eigentlich.