Im Dienste der Volksgesundheit – Porträt des Robert-Koch-Instituts

Es baut das erste zentrale Hochsicherheitslabor für die gefährlichsten Erreger, sucht einen Impfstoff gegen den neuen Virus aus Mexiko, ermahnt die Bevölkerung, sich die Hände häufiger zu waschen und in den Ärmel statt in die Hand zu husten. Das Robert-Koch-Institut wacht über die öffentliche Gesundheit. Sein guter Ruf hat aber jüngst Kratzer bekommen: Einige Impfempfehlungen haben den Beteiligten den Vorwurf großer Industrienähe eingebracht.

Von der Zukunft des Robert-Koch-Instituts ist bislang nur ein weißer Bauzaun zu sehen. Was dahinter an der Seestraße 10 im Berliner Stadtteil Wedding entsteht, könnte manchen Anwohner zum Gruseln bringen: Von 2011 an sollen Forscher hier in einem neuen Hochsicherheitslabors der Stufe S4 die Gene extrem gefährlicher Viren untersuchen – Ebola zum Beispiel. Gesichert durch vier Schleusen und eigener Strom- und Wasserversorgung.

Es wird das Herzstück eines Neubaus am Rande des Virchow-Campus der Charité. Dafür gibt der Bund rund 110 Millionen Euro aus. Es ist Teil des Projekts »RKI 2010«, mit dem das Gesundheitsministerium dieses Bundesinstitut deutlich stärkt. In der Marketingsprache: Es soll »das Public Health Institut für Deutschland« werden. Sein Jahreshaushalt beträgt rund 40 Millionen Euro. Nach einer ersten Personalaufstockung 2008 hat es nun 880 Mitarbeiter. 70 weitere sollen folgen.

Schwierige Gradwanderung

Kernaufgabe des Instituts war und ist die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung ansteckender Krankheiten – seien es Masern, Tuberkulose, Noroviren, Syphilis oder neue Infektionen wie die »Mexikogrippe«, zu der RKI-Präsident Jörg Hacker Anfang Mai fast täglich Interviews gab. Seit Wochen belegt der A/H1N1-Virus auch die erste Seite des Internet-Portals des RKI mit neuesten Ansteckungszahlen. Hier offenbart sich einer der Grundkonflikte der Institution: Die schwierige Gratwanderung zwischen der Notwendigkeit, öffentlich auf Gesundheitsgefahren hinzuweisen, und dem Risiko, Panik zu verbreiten.

Während die Öffentlichkeitsarbeiter des RKI Hygiene-Ratschläge geben, forschen seine rund 370 Wissenschaftler im Hintergrund an neuen Impfstoffen – auch für eben diese neue Influenza-Variante –, arbeiten an besseren Diagnosemethoden, erstellen Anti-Seuchen-Pläne, schicken wöchentlich Berichte an die WHO, untersuchen multiresistente Keime in Krankenhäusern und zählen HIV-Infizierte. Nichts, was das RKI nicht interessiert.

Von der Reichsanstalt zur oberen Bundesbehörde

Begonnen hat alles als »Experimentelle Abteilung« des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten. Es hieß schon vor seiner Eröffnung 1891 nur »das Koch’sche Institut«. Denn es wurde eigens für den Entdecker des Tuberkulose-Erregers gegründet. Nahe der Berliner Charité konnte sich Koch ganz in die Forschung auf dem neuen Gebiet der Bakteriologie und Klinischen Infektiologie stürzen. 1901 zog das Institut ans Nordufer am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal – damals nordwestlicher Stadtrand, heute mitten in der Stadt. An Kochs Institut arbeiteten noch weitere spätere Nobelpreisträger wie Paul Ehrlich oder Emil Adolf von Behring. Den heutigen Namen trägt es seit 1942, als es zur »Reichsanstalt« wurde. Dieses tiefbraune Kapitel der Institutsgeschichte wurde jüngst aufgearbeitet: Die Mitarbeiter beteiligten sich unter anderem an Menschenversuchen im KZ Sachsenhausen und testeten Impfstoffe gegen Fleckfieber an Buchenwald-Häftlingen.

Nach Stationen als Teil der Berliner Verwaltung und des Bundesgesundheitsamtes ist das Institut seit 1994 als obere Bundesbehörde eine »wissenschaftliche Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.«

Neben der Seuchenvorbeugung und –Bekämpfung hat das Institut auch noch den Auftrag, die allgemeine Gesundheitssituation in Deutschland zu beobachten und zu analysieren. Bei der »Gesundheitsberichterstattung des Bundes« (GBE) führt es inhaltlich die Feder. Es erstellt Studien über zu dicke Kinder, übers Rauchen oder über Hormontherapien bei Frauen in den Wechseljahren. Damit schafft es eine datenbasierte Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen. Die Daten dienen auch dazu, später den Erfolg der Maßnahmen zu kontrollieren. Das RKI berät vor allem das Bundesgesundheitsministerium und den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Außerdem ist es dafür zuständig, den Import und die Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen zu genehmigen.

Stellung der Impfkommission «nebulös«

Ein Teilbereich des altehrwürdigen Instituts ist in den vergangenen Jahren stärker in die öffentliche Kritik geraten: die Ständige Impfkommission (Stiko). In ihr sitzen zwar keine RKI-Angestellten, sie ist dort aber angesiedelt – und färbt damit auch auf das Institut ab. Nicht nur Impfkritiker bemängeln zu enge Kontakte zur Pharmaindustrie, vor allem zu Impfstoff-Herstellern. »Die Stellung der Stiko im Gesundheitswesen ist nebulös«, heißt es in einer Mitteilung von Bündnis90/Die Grünen vom vergangenen Dezember. Die Partei fordert eine »grundlegende Neujustierung der Stiko und ihrer Arbeitsmethoden«.

Seit April 2007 muss die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die von der Stiko empfohlenen – und vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) abgenickten – Impfungen bezahlen. So beschert allein die noch recht neue HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs auslösende Viren der GKV jährliche Zusatzkosten in dreistelliger Millionenhöhe, da sie fast 500 Euro für jedes Mädchen kostet. Ein Riesengeschäft für Sanofi Pasteur MSD und GlaxoSmithKline (GSK). Eine Gruppe von 13 angesehenen Medizinprofessoren kritisiert die zu schnelle Empfehlung nur wenige Monate nach der Zulassung des ersten Impfstoffs Gardasil – ihres Erachtens ohne ausreichende Datenlage.

»Die Stiko steht in guter Verbindung zur Industrie«, beanstanden auch die Krankenkassen in einer Stellungnahme von 2006 zur Gesundheitsreform. »Teils mussten Empfehlungen wegen nachträglich erkannter Risiken zurückgenommen werden.« Die GKV forderte, »für die Unabhängigkeit der Stiko und die Transparenz ihrer Entscheidungen die Anforderungen festzulegen, wie sie für das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gelten.« An Stiko-Sitzungen sollten G-BA-Vertreter beteiligt werden. »Die Kommission hat seine Arbeiten in einer transparenten Form durchzuführen und Betroffene und Interessierte über alle Arbeitsschritte und Arbeitsergebnisse zu unterrichten«, verlangen nicht nur die Krankenkassen.

Dass der langjährige Stiko-Vorsitzende Heinz-Josef Schmitt Ende 2007 zu Novartis ging, trug nicht gerade zur Besserung des Stiko-Rufes bei. Noch weniger die Tatsache, dass er kurz vor seinem Abgang einen mit 10.000 Euro dotierten Preis von Sanofi Pasteur MSD annahm – deren Impfstoff Gardasil hatte er kurz vorher mit auf die Empfehlungsliste gesetzt.

Christian Keller, Ansprechpartner für Korruptions-Prävention im RKI, weißt die Kritik zurück: »Ich kann keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die HPV-Impfempfehlung von sachfremden Interessen beeinflusst worden wäre.«

Wolfgang Becker-Brüser vom unabhängigen Arznei-Telegramm kritisiert dieses mangelnde Unrechtsbewusstsein. »Es ist unfassbar, dass eine öffentlich besetzte Kommission Geld von Firmen annimmt, über deren Produkte sie entscheidet«, sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Immerhin hat das RKI inzwischen auf seiner Website Selbstauskünfte der ehrenamtlichen Stiko-Mitglieder veröffentlicht, in denen man zum Beispiel nachlesen kann, von welchen Impfstoffherstellern Professor Ulrich Heininger aus Basel Geld für Impf-Vorträge und Beratungen bekommen hat.
Susanne Glasmacher, Sprecherin des RKI, verteidigt die Zusammenarbeit mit der Industrie: »Die wissenschaftliche Arbeit von Experten auf dem Gebiet des Impfwesens bringt auch Kontakte mit impfstoffherstellenden bzw. -vertreibenden Unternehmen mit sich.« Es sei nicht sachgerecht, auf den besonderen Sachverstand dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler grundsätzlich zu verzichten. »Vielmehr ist im Einzelfall zu bewerten, ob die entsprechenden Tätigkeiten mit den Pflichten eines Stiko-Mitglieds vereinbar sind.« Vor ihrer Berufung müssen Stiko-Mitglieder gegenüber dem Gesundheitsministerium Umstände offen legen, »die einen möglichen Interessenkonflikt oder die Besorgnis der Befangenheit im Aufgabenbereich der Stiko begründen könnten.« Das Ministerium prüft, ob diese »Umstände« gewichtig genug sind, jemanden auszuschließen. Wer einmal drin ist, wird nicht mehr kontrolliert. Zwar habe das Bundesgesundheitsministerium die Rechtsaufsicht, sagt Sprecher Klaus Vater, aber überprüfen könne man nur nach besonderen Hinweisen.

Das RKI selbst verpflichtet die Stiko-Mitglieder, vor jeder Sitzung mitzuteilen, ob es bei ihnen mögliche Interessenskonflikte oder Befangenheit bei einzelnen Tagesordnungspunkten gibt. Das Institut prüfe solche Umstände, die zu einem Ausschluss führen könnten, sagt die Sprecherin. »Wenn dies bei einem Mitglied der Fall ist, darf es an der Beratung und Beschlussfassung nicht mitwirken.« Gelegentlich komme das bei einzelnen Tagesordnungspunkten vor, sagt Glasmacher. Mehr erfährt die Öffentlichkeit allerdings nicht.

Um eine Impfempfehlung anzufechten, muss der Gemeinsame Bundesausschuss, das höchste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, mit dessen Beschluss eine Leistung in den GKV-Pflichtkatalog kommt, tätig werden. Das hat er auch getan: offenbar zweifelt der G-BA inzwischen an seiner Bestätigung der umstrittenen HPV-Impf-Empfehlung und forderte im Dezember die Stiko auf, sie noch einmal zu überprüfen. Diese aber sah keine Veranlassung, ihre Empfehlungen zu verändern, sammelt aber weiter Daten, um die Langzeitwirkung bewerten zu können.

Influenza-Arbeitsgruppe von Pharmaindustrie finanziert

Kritik ist die Arbeitsgruppe Influenza (AGI) des RKI ausgesetzt. Zum Unmut von Impfkritikern spricht sie warnend von Tausenden Grippetoten im Jahr und empfiehlt vorbeugend die Impfung, die jährlich den aktuellen Viren angepasst wird – vor allem für Menschen ab 60 und Kranke. Vier Hersteller von Influenza-Impfstoffen unterstützen die AGI finanziell: GSK, Novartis Behring, Sanofi Pasteur MSD und Solvay. Das Robert Koch-Institut selbst erhalte aber kein Geld der Industrie, betont Sprecherin Glasmacher.

Dem permanenten Konflikt der Gradwanderung zwischen sorgender Warnung und Panikmache wird das RKI immer ausgesetzt sein. Was es aber ändern kann: Vor allem bei Impfempfehlungen, die große finanzielle Interessen berühren, sollte es für mehr Transparenz sorgen. Damit könnte das Institut vielleicht den Verdacht ausräumen, die Pharmaindustrie habe Einfluss auf seine Entscheidungen. Und damit seinen guten Ruf als oberster Gesundheitshüter schützen.

Links:
Robert-Koch-Institut: www.rki.de
Gesundheitsberichterstattung: www.gbe-bund.de
Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI): http://influenza.rki.de/
Kritische Stiko-Artikel:
Arznei-Telegramm im April 2007: www.arznei-telegramm.de
taz vom 16.11.2007: www.taz.de
SZ vom 25.1.2008 : www.sueddeutsche.de/wissen/303/431054/text/
Welt vom 15.2.2008: www.welt.de/welt_print/article1674446/html

Regelmäßige Veröffentlichungen des RKI :
Bundesgesundheitsblatt Epidemiologisches Bulletin
GBE-Themenhefte und –Schwerpunktberichte Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes