»Global Health Diplomacy« – Welche Rolle spielt Deutschland?

Beitrag von Wolfgang Hein und Ilona Kickbusch

Internationale Gesundheitspolitik ist auf neue Weise wieder in der Außenpolitik angekommen. Die Bekämpfung von Krankheiten – seien es Infektions- oder chronische Erkrankungen – sowie die internationale Sicherstellung der Medikamentenversorgung und der Gesundheitsdienste stellt zunehmend ein globales Problem dar. Und zwar in doppelter Hinsicht: »global« im Sinne von »weltweit « und »global« im Sinne des Betroffen seins vieler Politikbereiche. Gesundheit wandelt sich von einem rein technisch-professionellen zu einem politischen Verhandlungsgegenstand – so erklärt sich auch der Begriff der Gesundheitsdiplomatie. Fachexperten sehen sich mit neuen Dimensionen internationaler Gesundheitsverhandlungen konfrontiert, in denen sich auch neue Interessenkonstellationen widerspiegeln und andere Kompetenzen erforderlich sind.

Globale Gesundheit ist in Deutschland unsichtbar

Gesundheitspolitik wird in Deutschland vor allem mit nationalen Fragestellungen verbunden, die sich schwerpunktmäßig auf die Finanzierung des Systems konzentrieren. Wie global Gesundheit aber inzwischen ist, tritt nur dann in den Mittelpunkt, wenn eine Gefahr durch (potentiell) bedrohliche Infektionskrankheiten heraufzieht, wie bei SARS, Vogelgrippe und derzeit Influenza A (H1N1), populär als »Schweinegrippe« bezeichnet.

Selbst die gesundheitspolitische Zusammen arbeit im Rahmen der Europäischen Union gerät nur selten ins Blickfeld, obwohl dieser Bereich immer bedeutendere Auswirkungen auf nationale Belange hat. »Globale Gesundheit« wird als Handlungsbereich gesehen, der vorwiegend von Krankheiten in armen Ländern handelt.
Diese mangelnde Sichtbarkeit und das verengte Verständnis der globalen Gesundheit als Politikbereich in der deutschen Diskussion entsprechen weder dem finanziellen Beitrag Deutschlands noch der neuen breiten politischen Bedeutung dieses Handlungsbereiches. Deutschland ist nach den USA und Japan der drittgrößte Beitragszahler zum regulären Budget der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zahlt auch substanzielle Beiträge für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria (GFATM). Aber ist Geld wirklich ausreichend? Sind die Schwerpunkte richtig gesetzt? In einigen Ländern setzt sich inzwischen die Sichtweise durch, dass die Bedeutung von »globaler Gesundheit« ein umfassenderes und strategischeres Vorgehen auf nationaler Ebene erforderlich macht.

Blick über den Tellerrand

Prof. Dr. W. HeinSo haben die Schweiz und England strategische Papiere verabschiedet, die mehrere Politikbereiche – Außen-, Gesundheits- und Entwicklungspolitik– zusammenführen und auf gemeinsame Ziele festlegen. Damit verbunden sind neue Mechanismen, die ein abgestimmtes Arbeiten erleichtern und eine Kultur der Zusammenarbeit schaffen. Die schweizerische Gesundheitsaußenpolitik von 2007 beruht auf der Feststellung, dass die globale Interdependenz »einen ganzheitlichen, kohärenten Politikansatz und national wie international koordinierte Problemlösungen« verlangt.

Das englische Strategiepapier »Gesundheit ist global « von 2008 argumentiert ähnlich und setzt fünf Schwerpunkte: Gesundheitssicherheit, Stärkung von Gesundheitssystemen weltweit, effektivere internationale Organisationen, freierer und gerechterer Handel, eine verstärkte Ausrichtung auf Wirksamkeit und Evidenz. Der Nachdruck liegt also nicht mehr nur auf Krankheitsbekämpfung, sondern auch auf Gesundheitsdeterminanten und Gesundheitssystemfragen.

Je intensiver die grenzüberschreitenden gesellschaftlichen und ökonomischen Verflechtungen sind, umso relevanter werden internationale Abkommen im Gesundheitsbereich für die nationale Politik. Beispiele gibt es genug. Infektionskrank hei ten können Reise- und evtl. Handelsbeschränkungen nach sich ziehen. Die Möglichkeit von Anschlägen durch die bewusste Verbreitung von gefährlichen Viren erfordert sicherheitspolitisches Handeln. Internationale Abkommen zu Patentschutz, Tabak oder Alkohol haben Auswirkungen auf nationale Wirtschaftsinteressen. Die Regelung der Mobilität von Patienten und Gesundheitspersonal beeinflusst die Leistungserbringung im nationalen Gesundheitssystem.

USA als Vorreiter – Schwellenländer ziehen nach

Diese Palette der Einflussbereiche hat schon vor ca. einem Jahrzehnt dazu geführt, die globale Gesundheit zu einem Interessenbereich der amerikanischen Sicherheits- und Außenpolitik zu machen. Berater zur globalen Gesundheit finden sich dort nicht nur im Gesundheitsministerium und den dazugehörigen Behörden, sondern auch im Weißen Haus, im Außenministerium und im Verteidigungsministerium. Präsident Bush lancierte 2003 das große HIV AIDS Programm – The U.S. President’s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR), die größte finanzielle Verpflichtung, die je ein Land im globalen Gesundheitsbereich zur Bekämpfung einer Krankheit eingegangen ist.
Think tanks – u.a. seit neuestem das Center for Strategic and International Studies – verfügen über Programme zur globalen Gesundheit und gleich nach der Wahl hat Präsident Obama im Detail ausgearbeitete Vorschläge zur globalen Gesundheit vorgelegt.

Damit hat dieser Bereich in den USA eine Bedeutung erlangt, die weit größer ist als in vielen europäischen Ländern und auch in Deutschland. Die geopolitische Machtverschiebung zeigt sich auch in der globalen Gesundheitsdiplomatie. Die Schwellenländer nutzen vermehrt die jährliche Weltgesundheitsversammlung, um ihre Interessen durchzusetzen. Als Beispiel mag der Vorstoß Indonesiens zur Transparenz bei der Abgabe und Weiterverarbeitung von Influenzaviren dienen. Die Delegation Thailands ist inzwischen so groß wie die der USA. Und Brasilien vertritt mit großem Verhandlungsgeschick durch seine Diplomaten die nationalen Interessen in globalen Verhandlungen.

Kleinere Länder können ihre Position als Geberland für die Einflussnahme in anderen internationalen Verhandlungen nutzen. So werden die internationalen gesundheitspolitischen Initiativen Norwegens nicht vom Gesundheitsminister, sondern vom Premierminister und vom Außenminister lanciert, wie z.B. die »Osloer Ministererklärung: globale Gesundheit, ein dringendes außen politisches Handlungsfeld unserer Zeit«.

Chancen für Deutschland

In Deutschland hat die Diskussion um die Verbindung von Gesundheits- und Außenpolitik erst jüngst wieder begonnen. Zum einen wurde im März 2009 anlässlich des Besuches der General direktorin der WHO in Berlin im deutschen Außenministerium erstmals ein Forum Globale Fragen unter dem Titel »Global Health – Die Gesundheit der Welt in der internationalen Politik« veranstaltet.

Zum anderen initiierte das deutsche Gesundheitsministerium eine Reihe von ressortübergreifenden Arbeitsgesprächen anlässlich der Bewerbung Deutschlands für den Exekutivrat der WHO. Deutschland sollte – ähnlich wie in der Klimapolitik – die Initiative ergreifen und auch die globale Gesundheitspolitik aktiv mitgestalten. Darin liegt die Chance, nicht nur internationale Strukturpolitik umfassender voranzutreiben, sondern auch Themen zu setzen. Damit kann der deutschen Öffentlichkeit und Politik (auch oder gerade in Krisenzeiten) vermittelt werden, dass in einer zunehmend interdependenten Welt die eigene Gesundheit von den gesunden Lebensbedingungen und der effektiven Prävention, Kontrolle und Behandlung von Krankheiten in allen Ländern abhängt.

In diesem Sinne stellt weltweite Gesundheit ein globales öffentliches Gut dar, für dessen Finanzierung alle Länder mitverantwortlich sind. Dieser Diskurs – einschließlich der Entwicklung einer globalen Strategie – sollte in Deutschland zu einem gemeinsamen Thema von Gesundheits-, Außen-, Technologie- und Entwicklungspolitik werden.

Mit seiner neuen Rolle im Exekutivrat der WHO könnte Deutschland klare Zeichen setzen. Den Ansatzpunkt für eine Strategie der globalen öffentlichen Güter für Gesundheit bieten die 2005 von den WHO-Mitgliedsländern verabschiedeten Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR).
Diese Strategie hätte zwei Dimensionen: eine Aufstockung des regulären Budgets der WHO, um den neuen Auf gaben gerecht zu werden, und die Unterstützung für die vielen armen Ländern bei der Umsetzung, z.B. in Bezug auf das Meldewesen von Krankheiten, die Laborkapazitäten, die Medizinvorräte und die Impfstoffherstellung für die ärmsten Länder. Zudem könnte Deutschland die Finanzierung globaler öffentlicher Güter für Gesundheit in die verschiedenen Ausschüsse der Europäischen Union einbringen und die Verbindung zu den globalen Aufgaben der europäischen Gesundheitsstrategie, aber auch der EU Entwicklungs- und Außenpolitikherstellen. Das Thema könnte regelmäßig in die G8 und die G20 eingebracht und auch mit der Klimapolitik verbunden werden.
Eine systematische und konsequente Vorgehens weise in diesem Bereich auf nationaler wie internationaler Ebene wäre ein bedeutsamer Beitrag zur globalen Gesundheitsdiplomatie und zur Gesundheitspolitik als Weltinnenpolitik.

Prof. Dr. Ilona Kickbusch ist Soziologin und Politikwissenschaftlerin. Sie war Initiatorin der Ottawa Charta für Gesundheitsförderung und weltweiter Setting Programme. Als Seniorberaterin für die Schweizer Regierung, NGO’s Stiftungen und die WHO beschäftigt sie sich intensiv mit Fragen der Globalen Gesundheitspolitik.

Prof. Dr. Wolfgang Hein lehrt am GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg und ist Vorstandsmitglied der Wissenschaftlichen Vereinigung für Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik. Ein Schwerpunkt seiner Forschung liegt derzeit beim Thema »Global Health Governance«.