Gesundheit & Ökonomie – Finanzierung des Systems Gesundheit

Ein Interview mit Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke
Qualität, Transparenz, Versorgungssicherheit & Zugang. Aber auch immer: Finanzierung. Im politischen Diskurs zum System Gesundheit spielt die Frage der gerechten und gleichsam kostenkontrollierten Finanzierung unserer Krankenversicherungen eine herausragende Bedeutung. Über die zukünftigen Entwicklungen dieser Finanzierungsstrukturen sprachen wir mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke.

Sehr geehrter Herr Prof. Henke, als ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates: Waren die Gesundheitsreformen der großen Koalition immer von Sachverstand geprägt?

Jede Koalition in einer parlamentarischen Demokratie braucht Mehrheiten. Und die Kompromisse sind der Preis unserer Demokratie. Es gibt Wege aus dieser Kompromissfalle. Sie stehen aber nicht hoch im Kurs: Mehrheits- statt Verhältniswahlrecht, Zusammenlegung von Wahlterminen, mehr Freiräume für Modellversuche und Pilotprojekte, mehr direkte Demokratie und Politikferne durch ein unabhängiges Gremium für die Sozialversicherung insgesamt oder für die Krankenversicherung als ihren kompliziertesten Zweig.

Welche Herausforderungen bleiben ungelöst?

Reformbedarf ist gar nicht so einfach zu definieren, schließlich klagen wir auf einem sehr sehr hohen Versorgungsniveau, weltweit sowieso, aber wohl auch innerhalb Europas. Vielleicht geht es bei der Weiterentwicklung in der nächsten Legislaturperiode nur um kleinere Anpassungen und eher kosmetische Korrekturen. Einige der Neuregelungen der letzten Reform … ich nenne mal nur den Gesundheitsfonds selber … gelten ja erst seit dem 1. Januar 2009 …

… was ist mit dem politischen Dauerbrenner Gesundheitsfonds? Wird er sich als Sprungbrett, Dauerlösung oder Sackgasse herausstellen?

Meist halten ja Provisorien ganz gut und Kompromisse häufig auch. Der Fonds hat durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ungeplant an Bedeutung gewonnen. Beitragssatzsteigerungen von gut 180 Kassen würden im Moment nicht in die politische Landschaft passen. Die Steuerfinanzierung sorgt insoweit mit den Liquiditätshilfen und der Senkung auf einen Beitragssatz in Höhe von 14.9% für ein wenig Ruhe. Gleichzeitig stehen die Kassen mehr als in der Vergangenheit im Wettbewerb untereinander. Schließlich gibt es Fonds auch in anderen Ländern.

Wenn wir das Ziel des perfekten Risikostrukturausgleichs schaffen wollen – Stichwort Morbi RSA – warum brauchen wir dann noch verschiedene Kassen? Das gerechteste Risiko-pooling hat doch die Einheitskasse …

Risk-Pooling ist unabdingbar, egal ob wir in England, also in einem steuerfinanzierten System argumentieren oder uns in einem der Bismarcksysteme befinden. Ein Morbi-RSA stellt die Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb dar, der um so wichtiger auf der Leistungsseite und bei den Rückzahlungen und Zusatzprämien wird, wenn der Beitragssatz politisch festgeschrieben ist. Aber: Krankenkassen konkurrieren mehr denn je um Qualität und Preis der Leistungen. Dafür müssen die Wettbewerbsparameter weiter ausgebaut und verkrustete Strukturen gelockert werden. PKV und GKV werden noch näher aneinander rücken. Was fehlt ist eine vernünftige Wettbewerbsordnung und die Überwindung der Dichotomie von Sozial- und Privat- bzw. Wettbewerbsrecht.

Wie sollte ein solcher Schritt aussehen und könnte dieser zur Überwindung einer vielfach wahrgenommenen Zweiklassenmedizin führen?

Eine einfache Lösung liegt doch auf der Hand. Die nächste Bundesregierung öffnet den Krankenversicherungsmarkt für alle und überlässt den Krankenversicherungen die Tariffindung. Umlagefinanzierung und Kapitalbildung stehen dann nebeneinander. Nach der letztlich guten Erfahrung mit der Riesterrente wird sich mehr Kapitalbildung auch in der Kranken- und Pflegeversicherung durchsetzen. Es gäbe keine Streiterei mehr über Beitragsbemessungsgrenzen und die Versicherungspflichtgrenze. Die Bevölkerung würde die Unterscheidung zwischen PKV und GKV nicht mehr als Zweiklassenmedizin erleben.

Hat sich da auch die Diskussion über die Erfahrungen in den Niederlanden ausgewirkt?

Sicherlich. Aber: Käme es zu einer Privatversicherung für alle, würde die Gesetzliche Krankenversicherung nach einer privaten Rechtsform rufen. Die öffentlich-rechtlichen Körperschaften genügen bereits heute nicht mehr den Anforderungen durch den zunehmenden Wettbewerb. Ähnlich wie in den Niederlanden lässt sich ein gemeinsamer privater Rechtsrahmen für die Krankenversicherung finden. Aktiengesellschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und die ihnen ähnelnden Genossenschaften wären dann die privaten Rechtsformen. Hier wäre viel Bewegung zu erwarten – Bewegung die eine erfolgreiche Zukunft für das System bedeuten könnte.

Was wäre da für Deutschland noch notwendig?

Vor dem Hintergrund eines offenen Marktes für Krankenversicherungen ergäbe sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer starken Versicherungsaufsicht. Zu dieser Aufsicht gehört auch das Risk-Pooling bzw. der Risikostrukturausgleich. Er ist und bleibt eine Voraussetzung für den wünschenswerten sozialen Wettbewerb mit einer qualitätsgesicherten Grundversorgung für alle, verbunden mit der Möglichkeit, höhere Gesundheitsleistungen nachzufragen. Selbstbehalts- und Bonusregeln gehören genauso zu diesem Modell, wie mehr Wettbewerb durch neue Formen einer selektiven Kontrahierung der Versicherungsunternehmen mit unterschiedlichen Leistungserbringern. Preferred Providern und best practice gehört die Zukunft. Damit verbunden ist selbstverständlich das Recht der Versicherungsnehmer auf diskriminierungsfreie Kontrahierung mit allen Krankenversicherungen.

Und was bringt uns 2010?

Die Öffnung des Krankenversicherungsmarktes für einen umfassenden privaten Versicherungsschutz stellt eine ordnungspolitische Herausforderung dar, die mit der letzten Gesundheitsreform erst rudimentär versucht wurde. Hier ist von jeder Koalition wohl mehr zu erwarten!

Ihr Schlusswort?

Der nächste gesundheitspolitische Kompromiss wird kommen und als Preis unserer parlamentarischen Demokratie genauso anerkannt werden müssen wie die Reformen in den letzten 30 Jahren. Sie waren alle besser als das, was die Medien aus ihnen gemacht haben.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke ist seit 1995 Inhaber des Lehrstuhls für die Fachgebiete Öffentliche Finanzen und Gesundheitsökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht der Technischen Universität Berlin. Er ist seit 1984 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. Von 1987 – 1998 war er Mitglied und von 1993 – 1998 Vorsitzender des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Seit 2004 ist er ein Sprecher des Zentrums für Innovative Gesundheitstechnologie (ZiG) an der TU Berlin. Er arbeitet hauptsächlich auf den Gebieten der Gesundheitsökonomie, Sozialen Sicherung, Europäischen Integration sowie zu finanzwissenschaftlichen Fragestellungen.
Prof. Henke ist Mitglied im puls.b Beirat.