Equitable License (EL) ist ein Konzept für neu gestaltete Lizenzverträge, die zwischen Universitäten und Unternehmen abgeschlossen werden. Heute wird Unternehmen durch Patentierungen eine Monopolstellung bei der Produktion vom Medikamente gewährt und sie können so die Preise diktieren. Durch diese künstlich hohen Preise können sich viele Menschen Medikamente oft nicht leisten, die sie eigentlich benötigen. Dr. Peter Tinnemann, der Koordinator des Projektbereichs Internationale Gesundheitswissenschaften am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité und seine Mitarbeiter Dr. Shala Yekta und Tobias Luppe forschen an Möglichkeiten zur Umsetzung von EL, damit neue patentierte Medikamente auch in Entwicklungsländern bezahlbar sind. Im April 2009 veranstalteten sie eine Tagung, auf der verschiedenste Institutionen das neue Konzept diskutierten. Wir trafen Peter Tinnemann nach der Konferenz.
Herr Dr. Tinnemann, was kann man sich genau unter Equitable License (EL) vorstellen?
Im Grunde genommen geht es um die Frage: Was macht man mit Forschungsergebnissen, wenn diese von öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen an Unternehmen lizenziert werden? Das heißt, wir haben ein Privatunternehmen, das einer Universität ein patentiertes Ergebnis abkauft. Wenn jetzt zum Beispiel ein Pharmaunternehmen aus dem Forschungsergebnis ein Medikament macht, kann das Unternehmen den Preis diktieren. Ich finde, dass die zwischen diesen Vertragspartner vereinbarten Lizenzen dahingehend beeinflusst werden sollten, dass besonders lebenswichtige neuen Medikamente auch bei Menschen in armen Ländern ankommen.
Wofür steht genau equitable?
Für den Begriff gibt es im Deutschen keine direkte Übersetzung, daher haben wir ihn auch nicht übersetzt, sondern benutzen den englischen Ausdruck. Er steht für ein Konzept von Gerechtigkeit und Fairness, zum Beispiel das alle Menschen die gleiche Chance haben sollen ein Medikament zu bekommen. Es geht dabei nicht um den gleichen Preis, denn 1.000 Euro haben in Europa einen anderen Wert als vielleicht in Uganda. Equitable heißt im Grunde genommen denjenigen mehr geben, die mehr brauchen, ein modernes Konzept von Fairness.
Demnach sind Sie für unterschiedliche Preissegmente in der Welt?
Genau. Alle sind sich darüber einig, dass das bestehende Patentrecht künstlich Monopole schafft. Wir suchen nach neuen Wegen, wie neue medizinische Entwicklungen und Forschungsergebnisse mehr Menschen zugänglich gemacht werden können. In einer rein wirtschaftlichen Debatte wird oft vergessen, dass Gesundheit ein Menschenrecht ist. Ich finde es muss möglich sein, Medikamente im nördlichen Raum zu einem anderen Preis anzubieten als im Süden. Und das sollte durch geeignete Lizenzverträge möglich gemacht und sichergestellt werden.
Für Pharmaunternehmen steht finanzieller Profit im Vordergrund. Meinen Sie, deren Politik wird sich verändern?
Ich glaube schon, denn wir bieten hier neue Lösungen. Außerdem bin ich nicht dagegen das Pharmaunternehmen Geschäfte machen. Nehmen wir das Beispiel HIV Medikamente. In Afrika gibt es viele Menschen die HIV haben, die aber lebensnotwendige Medikamente nicht bezahlen können. Unternehmen, die mit solchen Medikamenten Geld verdienen möchten, sollten es tun können. Man kann aber mit Pharmaunternehmen auch vertragliche Vereinbarungen machen, die sicherstellen, dass HIV Medikamente dahin kommen, wo sie besonders gebraucht werden. Mit Unternehmen in Amerika hat das schon funktioniert.
Sie meinen das Beispiel des Aids-Medikaments d4t (Stavudine) das an der Universität Yale entwickelt wurde?
Ja, dort haben Studenten auf genau ein Problem durch herkömmliche Lizenzen aufmerksam gemacht. Das spannende ist, es war das erste Mal, dass öffentlich bekannt wurde wie auch die Lizenzpolitik einer Universität dazu beiträgt, dass Menschen in Afrika sterben. Die Universität Yale hatte ein Patent exklusiv an ein Pharmaunternehmen abgeben, was diese Medikament unter anderem sehr teuer machte. Als das unter dem Druck von Studenten und Medien die Lizenzvereinbarungen zwischen Universität und Pharmaunternehmen geändert wurde, führte das zu erheblichen Preissenkungen bei der Aidstherapie in Afrika.
Die Kosten wurden von ca. 10.000 $ auf 87 $ gesenkt. Inzwischen gibt es ein neues Aids-Medikament Tenofovir (TDF). Ist das auch patentiert?
Ja. Dies wurde unter anderem von Forschern an Universitäten in Belgien und der Tschechischen Republik erfunden und dort werden jetzt die gleichen Diskussionen geführt wie vor einigen Jahren bei d4t. In Amerika und Europa wird d4t von TDF aus der Kombinationsbehandlung gegen AIDS herausgeschupst, weil d4T für den Patienten viele negative Langzeitnebenwirkungen hat. D4T ist bei uns regelrecht veraltet, TDF ist das neue und bessere Medikament. In Afrika kommt TDF bisher so gut wie nicht an, weil es für viele Mensche dort noch viel zu teuer oder noch nicht auf dem Markt ist. Sollen die Menschen in Afrika noch fast 10 Jahre warten bis das Patent ausläuft und es billige Generika gibt? Ich finde das geht nicht, das hat doch nichts mit globaler Gerechtigkeit zu tun.
Auf der Konferenz tauchte das Argument auf, dass nicht alle Medikamente patentiert seien.
Das ist der Standardsatz. Es stimmt, dass viele Medikamente nicht patentgeschützt sind. Patentmonopole sind sicherlich auch nicht das einzige Problem, es geht um Gesundheitssysteme, Personalmangel, um Gesellschaften die Aids verleugnen und vieles mehr.
Allerdings sind heutzutage nahezu alle neuen Innovationen patentgeschützt. Aidsmedikamente sind heute eigentlich alle neue Innovationen und mit Patenten geschützt. Ich stelle die Frage, sollen Menschen in Entwicklungsländer die alten Medikamente nehmen und in der wohlhabenden Welt nimmt man die neuen, verbesserten? Ich finde damit ist dieses Argument hinfällig.
Wie wirken sich die hohen Preise auf die Gesundheitssysteme in Afrika aus?
Es gibt Posten im Gesundheitssystem, an denen man nicht rütteln kann, wie Personalkosten, Infrastruktur. Aber wenn ein bereits armes System dann noch abartige hohe Preise für Aidsmedikamente zahlen muss, was ist dann? Auch wenn Medikamente gegen AIDS vielleicht nur drei Prozent aller benötigten Medikamente im Gesundheitssystem ausmachen, was ist wenn die aber 80% der ganzen Medikamentenkosten eines Gesundheitssystems ausmachen und nur weil diese patentgeschützt sind. Wenn die hohen Preise für wenige Medikamente dazu führen, dass man keine Ärzte und Krankenschwestern mehr ausbilden oder einstellen kann, dann sieht man, dass doch alles wieder zusammenhängt.
Die Idee von EL ist in den USA entstanden. Welche Erfahrungen haben die Amerikaner mit dem Vertragsmodell?
Ehrlich gesagt gibt es auch dort bisher nur wenige Erfahrungen. Aber unsere Konferenz hat gezeigt, dass es die ersten erfolgreichen EL Versuche zwischen Universitäten und Unternehmen gibt. Das ist für uns sehr motivierend.
Kann man diese Verträge auf Deutschland übertragen?
Die Frage die wir uns aktuell stellen ist, ob es überhaupt deutsche Verträge geben wird. In der Diskussion auf der Konferenz wurde deutlich, dass wohl 60 bis 70% der Verträge zu Innovationen, die in Deutschland entwickelt wurden, mit internationalen Firmen gemacht werden. Da braucht man vielleicht keine auf Deutschland zugeschnittenen Lizenzverträge. Die komplexen Dinge gehen jetzt gerade erst los.
Die Bundesregierung hat 2001 die so genannte Verwertungsinitiative gestartet. Ein staatliche Förderung von Patenten, die dann zu Produktentwicklungen und Unternehmensgründungen führen soll. Ein förderlicher Ansatz?
Die Idee, die da hinter steht, mehr Forschung zu fördern und die Forschungsergebnisse kommerziell zu nutzen, ist erst einmal zu befürworten. Allerdings gab es auf unsere Konferenz etliche kritische Stimmen zu dem Thema. So bemüht man sich in Amerika schon seit drei Jahrzehnten Forschungsergebnisse zu kommerzialisieren und man kommt dort jetzt zu dem Schluss, dass diese Rechnung nicht aufgeht.
Das betonen besonders die mit dem Thema erfahrenen amerikanischen Kollegen. In Deutschland können wir noch nicht viel dazu sagen, dafür fehlen hier noch die Erfahrungen.
Das heißt das Zwischenschalten von so genannten Technologietransfer Stellen (TTO), die sich um die Vermittlung von Erfindungen an private Investoren kümmern, hat in Amerika nichts bewirkt?
Nur, wenn man eine geniale Erfindung macht, dann scheint es auch zu funktionieren. Zum Beispiel wenn an einer Universität ein sog. Blockbuster vermittelt wird. Die TTO’s können dann für die nächsten 20 Jahre von den Lizenzgebühren leben. Aber bisher sind es in Amerika nur 16% der TTO’s, die sich durch Lizenzeinnahmen selbst finanzieren können. Die Frage steht also im Raum, ob es Sinn macht an jeder Uni eine TTO zu haben?
Wenn sich die TTO’s für Vertragsmodelle wie Equitable License einsetzen sollen, rechnen Sie von dieser Seite mit Unterstützung für ihre Pläne?
Ich habe den Eindruck, dass die TTO’s wegen eines großen Finanzierungsdrucks erst einmal unserer Idee skeptisch gegenüberstehen. Sie könnten es nur als weitere Hürde für die Vermittlung von Forschungsergebnissen an private Unternehmen betrachten. Interessanterweise wurde auf der Konferenz aber deutlich gesagt, dass EL weder die Universitäten noch die Pharmaunternehmen etwas kostet. EL zielt vor allem auf Entwicklungsländer, die für die Pharmaindustrie sowieso kein wichtiger Markt sind. Der ganze afrikanische Kontinent stellt nur ein Prozent des globalen Pharmamarktes dar. Wenn man jetzt für Afrika EL aufsetzt, verliert man nichts.
Auf der Konferenz waren auch Vertreter der TTO’s. Wie haben Sie auf EL reagiert?
Mein Eindruck ist, wenn wir es schaffen mit EL, eine Win-Win-Win-Situation, also eine verbessere Situation für Universitäten, Pharmaunternehmen und vor allem für Patienten zu schaffen, dann können die TTO’s sich vorstellen, so etwas zu machen. Und ich glaube, dass man so eine Situation in der Zukunft erreichen kann.