Zukunft der (Einzel)Praxis – Herausforderungen in Stadt und Land

Eine durchschnittlich ältere Bevölkerung, veränderte Morbidität, medizinischer Fortschritt, drohender Ärztemangel, knappe Mittel: Das deutsche Gesundheitswesen muss sich auf stark veränderte Rahmenbedingungen einstellen. Die Versorgungsebenen müssen neu gestaltet werden, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Wie können wir eine flächendeckende wohnortnahe Primärversorgung auch in Zukunft sicherstellen, wenn in strukturschwachen Gebieten die multimorbide, weitgehend immobile ältere Bevölkerung zunimmt, gleichzeitig aber die Hausärzte dafür fehlen? Wie können wir eine wohnortnahe fachärztliche Versorgung aufrechterhalten? Gleichzeitig muss der Zugang zu und das Angebot an hochspezialisierten Leistungen gesichert werden. Und es gilt, den flächendeckenden Notdienst rund-um-die-Uhr für alle zu erhalten. Das erfordert nach wie vor eine übergreifende Organisation durch die KV.

Auf der Ebene der Primärversorgung heißt es, Versorgungslücken gar nicht erst entstehen zu lassen bzw. diese so schnell wie möglich zu schließen. Schon heute ist absehbar, dass das mit der heute üblichen Einzelpraxis in ländlichen, strukturschwachen Gebieten nicht mehr überall möglich sein wird. Dazu brauchen wir ergänzende Angebote. Sinnvoll ist u.a. eine Verstärkung der Praxisteams mit speziell ausgebildeten Medizinischen Fachangestellten, die über aufsuchende Hilfeleistungen unter ärztlicher Verantwortung eine gute Betreuung sicherstellen können. Auch Zweigpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften können dringend benötigte Angebote schaffen. Damit kann auch dauerhaft eine flächendeckende wohnortnahe primärärztliche Versorgung gewährleistet bleiben.

In Ballungsgebieten, die häufig überversorgt sind, müssen Leistungsanbieter anders handeln. Die Überlebenschancen für die Einzelpraxis sind dort nicht besonders hoch. Patienten und Versicherte wollen immer mehr die Versorgung „aus einer Hand“, also in Gemeinschaftspraxen, Ärztehäusern oder Medizinischen Versorgungszentren. Dies gilt nach unserer Auffassung bereits in der Primärversorgung. Dort wird sich dieser Trend sehr schnell verstärken.

Noch wichtiger ist Kooperation auf der Ebene der hochspezialisierten Leistungen. Der kollegiale Austausch wird deutlich erleichtert. Das steigert die Arbeitszufriedenheit der Ärzte und verbessert das Angebot für Patienten. Gleichzeitig wird die Wirtschaftlichkeit der Praxen erhöht, denn gemeinsame Investitionen erhöhen die Auslastung von teurer Medizintechnik. Dem medizinischen Fortschritt kann damit ebenfalls schneller und besser Rechnung getragen werden. Insgesamt profitieren davon Ärzte, Patienten und Krankenkassen.

Natürlich stellt sich dabei auch die Frage der freiberuflichen Selbständigkeit. Der freiberuflich niedergelassene Vertragsarzt ist und bleibt ein Erfolgsmodell, auf das wir in unserem Gesundheitssystem nicht verzichten können und auch nicht verzichten wollen. Selbstverständlich ist auch jeder angestellte Arzt Angehöriger eines freien Berufs und in medizinischen Fragen allein verantwortlich. Aber er ist wirtschaftlich abhängig vom Betreiber der Praxis oder des MVZ. Hier gilt es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen angestellten und selbständigen Vertragsärzten zu erreichen. Dieses muss einerseits jungen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit eröffnen, ohne großes finanzielles Risiko auch in der ambulanten Versorgung tätig zu werden, andererseits muss die Möglichkeit bestehen, als Selbständiger in einer Gemeinschaftspraxis oder einem MVZ auch wirtschaftlich eigenverantwortlich zu handeln.

Die Einzelpraxis wird nicht aussterben: Sie ist in ländlichen Gebieten nach wie vor das zentrale Element der wohnortnahen medizinischen Versorgung. Sie wird aber nicht mehr die überwiegende Organisationsform sein, denn vor allem in städtischen Gebieten und bei zunehmender Spezialisierung des Angebots sind Kooperationen – egal in welcher Rechtsform – das Mittel der Wahl, um den künftigen Herausforderungen gerecht zu werden.