Zu wenig von allem

In Tansania mangelt es an medizinischem Fachpersonal, Medikamenten und den finanziellen Mitteln, um dies zu ändern.

„Ich arbeite nicht für Geld oder Luxus, sondern für mein Herz. Deshalb habe ich damals die Stelle in der Stadt abgelehnt und auf dem Land eine Krankenstation aufgebaut.“ Doktor Cecilia Assey sitzt in ihrem kleinen, spärlich eingerichteten Büro auf einem Holzhocker und lächelt. Sie hat schon viel erlebt in ihrer Neema RC Dispensary, einer kleinen privaten Krankenstation in Mwanga im Nordosten Tansanias. Seit 2002 kommen Menschen dorthin, um sich behandeln zu lassen. Und das, obwohl das Gebäude erst seit zwei Jahren fertig ist. „Ich habe damals zuerst das Grundstück gekauft“, erklärt die Ärztin. „Danach hat es zwei Jahre gedauert, bis ich genug Geld hatte, um zu bauen.“ Doch zunächst reichten die Finanzen nur für die Fertigstellung der Veranda. „Also habe ich die Patienten ein Jahr lang dort behandelt. Das war hart, wir hatten oft weder Wasser noch Strom, aber jetzt ist zum Glück alles fertig.“ Mit der linken Hand drückt Cecilia Assey das goldene Kreuz, das an einer Kette um ihren Hals hängt.

Der Krankenwagen – ein Geschenk des Lions Club

Mittlerweile arbeiten sechs Pfleger und zwei Laboranten in der Dispensary. Es gibt sechs kleine Krankenzimmer mit jeweils zwei schmalen Betten und zwei Behandlungsräume. Im Innenhof parkt sogar ein Krankenwagen, ein Geschenk vom Lions Club international. Manchmal spenden auch befreundete Ärzte aus dem Ausland, aber hauptsächlich kommt das Geld von der katholischen Kirche der Gemeinde und den Patienten selbst. Denn da die Krankenstation privat ist, muss jeder für seine Behandlung bezahlen. Das ist bei den beiden staatlichen Dispensaries, die es in der Kleinstadt Mwanga und der näheren Umgebung außerdem gibt, nicht der Fall, „aber dort sind die Bedingungen viel schlechter“, sagt Cecilia Assey. „Die Stationen haben sehr wenig Geld, die Ausrüstung ist veraltet und oft ist es in den Zimmern nicht sauber. Alle, die ein paar Tansania-Schillinge übrig haben, gehen in eine private Dispensary.“

Doch Geld fehlt den meisten in Tansania. Das Land ist eines der ärmsten der Welt. Von 1990 bis 2004, so die Zahlen des Auswärtigen Amtes, lebten  89,9 Prozent der Menschen von weniger als  zwei US-Dollar am Tag. Die schnell wachsende Bevölkerung, wiederkehrende Dürren, organisatorische Schwächen der Verwaltungsapparate und Korruption erschweren den Kampf der Regierung und verschiedener Hilfsorganisationen  gegen die Armut. Da sich Tansania nicht aus eigener Kraft finanzieren kann, kommen 46 Prozent des Staatshaushalts aus internationalen Kassen.

Die Durchschnittliche Lebenserwartung: 49 Jahre

Die finanziellen Missstände der Republik wirken sich auch auf das Gesundheitssystem aus. Eine ausreichende medizinische Versorgung der ca. 37 Millionen Tansanier ist nicht möglich. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen beträgt 49 Jahre – das sind ca. 30 Jahre weniger als in vielen europäischen Ländern. Außerdem ist die Zahl der HIV-Infinzierten in den letzten Jahren gestiegen: Sieben Prozent der Bevölkerung sind mittlerweile betroffen und es gibt ungefähr eine Millionen Aidswaisen. Auch die Tropenkrankheit Malaria endet, gerade bei Menschen aus ländlichen Gebieten, oft immer noch tödlich.

Ein weiteres schwerwiegendes Problem: die Müttersterblichkeit. Im Jahr 2005 starb, laut WHO, fast jede hundertste Frau bei einer Geburt. Das ist eine der höchsten Quoten in Afrika südlich der Sahara.

Zu wenig Fachkräfte

Eines der größten Mankos im Sektor Gesundheit: Es gibt zu wenig Fachkräfte. Nach einem McKinsey-Bericht vom Juli 2006 werden im ganzen Land nur 8.700 medizinische Ausbildungs- und Studienplätze angeboten. „Davon sind lediglich 1.100 für höher qualifiziertes Personal und jährlich schließen nur 300 Absolventen ab“, berichtet Helena Dietz vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Eine Ausbildung, zum Beispiel zur Krankenschwester, beenden immerhin jedes Jahr 2.500 Tansanier. Insgesamt fehlen der Republik mindestens 35.000 Arbeitskräfte. Doch Ausbildungen sind teuer. „Tansania verfügt insgesamt nur über 25.000 Gesundheitsfachkräfte, während Länder wie Kenia oder Südafrika mit ähnlicher Bevölkerungszahl über 80.000 bzw. 255.000 Kräfte verfügen“, erklärt Helena Dietz.

Schlechte Arbeitsbedingungen und Infektionsgefahr

Die wenigen, die eine medizinische Ausbildung absolvieren können, stehen bei Berufsantritt vor einem weiteren Problem: Die Arbeitsbedingungen, vor allem auf dem Land, sind zum Teil katastrophal. In den kleinen Krankenstationen gibt es oft kein sauberes Wasser, die technische Ausstattung ist meist veraltet und Ärzte und Pfleger sind aufgrund der unsicheren Entsorgung von Nadeln und anderer biomedizinischer Abfälle einer hohen Infektionsgefahr ausgesetzt. Hinzu kommen überfüllte Wartezimmer, denn außerhalb der großen Städte ist eine Krankenstation oft für über 20.000 Menschen zuständig. „Die Patienten haben teilweise einen Fußmarsch von einer Stunde hinter sich“, erzählt Cecilia Assey. In ihrem Wartezimmer auf der blau gestrichenen Veranda sitzen täglich bis zu 50 Menschen. „Da wir nur 12 Betten haben, kann hier niemand lange bleiben und operieren können wir gar nicht. Dazu fehlen uns Technik und ausgebildete Leute.“

Die Städte ziehen Fachkräfte an

Deshalb wollen die meisten jungen Ärzte nach ihrem Studium in Großstädten, wie Dar es Salaam, Dodoma oder Moshi bleiben. „Ich hätte eine Stelle im Zentralkrankenhaus in Moshi annehmen können“, sagt Doktor Assey. „Dort ist auch die Bezahlung besser als in den kleinen Stationen auf dem Land.“ Für viele ist das ein schlagendes Argument. Die Löhne  für Mediziner sind generell nicht sehr hoch: umgerechnet etwa zwischen 250 und 660 Euro im Monat. Da zählt jeder Tansania-Schilling, denn viele müssen für ihre Familien sorgen oder Schulden für die teure Ausbildung abbezahlen.

Hoffnung: Neue Berufe

Um der medizinischen Unterversorgung der ländlichen Gebiete entgegenzuwirken, wurden in den letzten Jahren verschiedene internationale Hilfsprogramme entwickelt. Die Benjamin Mkapa HIV/AIDS Foundation zum Beispiel hat bis heute 69 Menschen trainiert, die in 23 unterversorgten Distrikten arbeiten. Die Motivation für die Fachkräfte: zum Beispiel ein Zuschlag von 50 Prozent auf das Gehalt nach einer Dienstzeit von drei Jahren.

Das tansanische Gesundheitsministerium denkt zurzeit ebenfalls über finanzielle Aufwandsentschädigungen für Personal auf dem Land nach. „Die Lösung für Tansania liegt aber, zumindest kurzfristig, nicht in der Rekrutierung von Ärzten“, erklärt Helena Dietz. Es komme auf die Ausbildung von Gesundheitsarbeitern, wie Assistant Medical Officers an. Nach drei Jahren Ausbildung sind sie zwar keine Ärzte, können aber fast so viele Aufgaben übernehmen.

Doch gut ausgebildete Fachkräfte bleiben oft nicht im Land, sondern wandern nach Europa oder Amerika ab. Weltweit fehlen etwa vier Millionen Ärzte und Tansania hat kaum Möglichkeiten dem „brain-drain“ entgegenzuarbeiten.

Ressourcen fließen in die Zentralkrankenhäuser

Für Cecilia Assey liegt das größte Problem in dem hierarchisch  gegliederten Gesundheitssystem der Republik. Der Aufbau gleicht einer Pyramide, an deren Spitze die vier großen Zentralkrankenhäuser  stehen. Sie bekommen die meisten Zuschüsse von der Regierung und können sich Fachärzte und einen hohen technischen Standard leisten. Allerdings haben wenige Menschen Zugang zu diesen Krankenhäusern. Die Infrastruktur im Land ist schlecht. Es gibt keine Züge oder Straßenbahnen, kaum jemand kann sich ein eigenes Auto leisten. Die einzigen öffentlichen Verkehrsmittel sind die DallaDallas, kleine klapprige Busse oder Transporter, die immer völlig überfüllt sind. Und auch sie sind für manche unerschwinglich.

Die besser erreichbaren Regional- und Distriktkrankenhäuser sind weniger gut ausgestattet, oft können auch sie keine Operationen durchführen. Den Boden der Pyramide bilden die Health Centers und Dispensaries. Sie sind überall im Land zu finden und obwohl sie den Großteil der Bevölkerung versorgen, erhalten sie die geringsten finanziellen Mittel. Oft arbeitet dort noch nicht einmal ein Arzt und die Versorgung mit Medikamenten ist auch nicht sichergestellt. Sind Präparate vor Ort, können die Mitarbeiter sie wegen der Hitze und mangelndem Platz oft nicht richtig lagern.

Hoffnung: Krankenversicherung

Doch so problematisch die Gesundheitsversorgung in Tansania auch ist, es gibt positive Entwicklungen: Die Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Etwa 60.000 HIV-infizierte Tansanier erhalten derzeit die lebensverlängernden Medikamente. Laut eines Oxfam-Berichts von 2006 sind „die Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen von 118,8 Milliarden Tansania-Schilling (ca. 71.7 Millionen Euro) im Jahr 2001 auf 201,1 Milliarden (ca.121.3 Millionen Euro) im Jahr 2004 gestiegen. Außerdem plant der tansanische Minister für Gesundheit und Sozialfürsorge, David Mwakyusa, eine Krankenversicherung, die zukünftig den Großteil aller Gesundheitskosten tragen soll. Ein erster Schritt: Seit 2001 sind Angestellte des öffentlichen Dienstes versichert. Außerdem bietet der National Social Security Fund Angestellten aus der Wirtschaft seit zwei Jahren eine Versicherung an. In fünf bis zehn Jahren, so die Pläne der Regierung, soll jeder Tansanier krankenversichert sein.

Cecilia Assey hofft, dass diese Pläne so schnell wie möglich umgesetzt werden. „Ich glaube, dass dann auch mehr Menschen zum Arzt kommen, wenn es ihnen nicht gut geht“, sagt sie, klemmt ihren Notizblock unter den Arm und geht in Richtung der Krankenzimmer. Auf dem Weg kommt ihr ein kleiner Junge entgegen. Sie streicht ihm über den Kopf. „Er hatte Malaria“, erzählt sie. „Seine Mutter hat ihn rechtzeitig hergebracht. Das ist hier keine Selbstverständlichkeit, aber ich glaube, die Aufklärungskampagnen im Fernsehen und auf Plakaten wirken allmählich. Es geht alles voran, wenn auch langsam.“ Die Mutter des Jungen kommt, nimmt ihn auf den Arm und lächelt. Morgen können die beiden wieder nachhause. Sie sind erleichtert, das sieht man ihnen an. Die eineinhalb Stunden Fußmarsch bis zu ihrer kleinen Hütte machen ihnen nichts aus.