Miteinander tanzen

Bildung als Ressource im System Gesundheit – Die Arbeit von HealthCapital

Im vergangenen Jahr verabschiedeten die Regierungen von Berlin und Brandenburg die aktuelle Version des „Masterplans Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg“, um die Region in diesem Bereich zu stärken und deutschlandweit an der Spitze zu etablieren.

Das Netzwerk Gesundheit hat die Aufgabe übertragen bekommen, unter seiner Dachmarke HealthCapital, diesen Plan umzusetzen, „und zwar nicht nach staatlichen Vorgaben, sondern nach den Vorstellungen aller Beteiligten“, wie Netzwerkkoordinator Raphael Krüger betont. Die Aussichten sind gut: Die so genannte „Rürup-Studie“ hat umfangreich Daten erhoben, die den gesamten Bereich des Systems Gesundheit erfassen: die Gesundheitsversorgung genauso wie Zulieferbetriebe, medizinische Forschung und die Wellness-Branche. Zwischen 1996 und 2004 erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in diesem Bereich um 30.000 auf 344.000, die jährliche Bruttowertschöpfung nahm um zwei Millionen auf 12,3 Milliarden Euro zu. Bereits mehr als jeder achte Erwerbstätige in Berlin-Brandenburg arbeitet im System Gesundheit – Tendenz steigend. „Es wird Zeit, die Gesundheitswirtschaft nicht als bloßen Kostenfaktor, sondern als Wirtschaftmotor der Region zu begreifen“, so Krüger.

Die Spieler an einen Tisch bringen

Dem Netzwerk HealthCapital gehören mittlerweile Akteure aus allen Bereichen des Systems Gesundheit an: Krankenhausbetreiber, Universitäten und Forschungseinrichtungen, Krankenkassen und Ausbildungsträger sowie rund vierzig Unternehmen aus der Medizintechnik, der Biotechnologie und der Pharmazie. „Die dicken Schiffe sind alle dabei“, zeigt sich Krüger zufrieden: Die Charité macht zum Beispiel mit, Vivantes und Bayer Schering. Rund die Hälfte der Beteiligten im Netzwerk sind aber kleine und mittelständische Unternehmen. Nur die ambulanten Versorgungseinrichtungen und die Handwerksfirmen sind Krüger noch zu wenig vertreten: „Es ist leider schwer, sie mit an den Tisch zu kriegen – ich hoffe, das ändert sich.“

Über Grenzen hinweg

Ziel ist es, über traditionelle Grenzen der einzelnen Fachdisziplinen oder Handlungsfelder hinweg die „Player“ der Region miteinander zu vernetzen. Die Kooperation soll den Austausch und das Know-How stärken sowie Innovationen und zielgerichtete Planungen für Berlin und Brandenburg ermöglichen. „Die Akteure sollen miteinander tanzen, statt in der Isolation nebeneinander her zu existieren“, sagt Krüger. „Wir wollen etwas miteinander schaffen und gemeinsame Lösungen für Probleme entwickeln.“

HealthCapital soll ein Netzwerk sein, das staatliche und zivilgesellschaftliche Maßnahmen miteinander kombiniert, erklärt Krüger. So können neue Wege der Problemlösung und Organisationsformen ausprobiert werden.

Das Netzwerk bringt dabei durchaus Organisationen und Unternehmen zusammen, die auf dem Markt miteinander konkurrieren. Krüger erinnert sich an anfängliches Misstrauen. Dies habe sich aber mit der Zeit gelegt: „Je länger sie im Netzwerk miteinander arbeiten, desto mehr stellen sie fest, wo sie tatsächlich nicht miteinander können – und wo sie voneinander profitieren.“ Durch eine gemeinsame Datenbank könnten große Pharma-Unternehmen zum Beispiel kleine Firmen in der Region finden, mit denen sie gemeinsam ein neues Medikament entwickeln könnten. Wichtig sei, dass sich die Akteure durch das Netzwerk überhaupt erst wahrnehmen und kennen lernen könnten.

Eine gemeinsame Identität finden

Das Netzwerk soll eine gemeinsame Identität stiften – nach innen und nach außen. Verschiedene Akteure der Gesundheitswirtschaft in Berlin und Brandenburg sind bereits zusammen auf Messen und Kongressen im In- und Ausland aufgetreten. Unter der Dachmarke HealthCapital können sie sich eher profilieren und erkennbar werden denn als einzelnes Unternehmen. Trotz aller Globalisierungstendenzen glaubt Krüger dabei an die Bedeutung der örtlichen Gebundenheit: „Gesundheit wird immer regional sein“, sagt er, „denn der überwiegende Teil der Versorgung findet vor Ort statt.“

Ein wichtiges Merkmal für die Arbeit des Netzwerkes sieht Krüger in der Verknüpfung von Stadt und Fläche, von Metropole und Land. „In dieser Kombination entwickeln sich die Zukunftsmodelle der Gesundheit“, sagt er, „denken Sie an die Telemedizin oder eine an die Hochleistungsmedizin angebundene Notfallversorgung für ländlichere Gegenden.“

Die Unterschiede zwischen Berlin und Brandenburg sind in der Tat groß. Berlin profitiert vor allem von seiner universitären Landschaft und kann sich in Wissenschaft und Forschung profilieren. Die Charité, das Deutsche Herzzentrum und Forschungseinrichtungen wie das Max-Delbrück-Zentrum genießen internationales Renommee. Große Unternehmen der Gesundheitswirtschaft haben sich hier angesiedelt, um davon zu profitieren. „Das ist aber der einzige gravierende Unterschied zwischen Berlin und Brandenburg“, findet Krüger.

Berlin zieht nach

Zwar sei in Brandenburg der Ärzte- und Pflegemangel schon besonders spürbar. Aber vor dieser Entwicklung stehe auch Berlin; die Hauptstadt ziehe der umliegenden Region lediglich nach. Denn auch hier werde Personal abgebaut, zudem habe auch die Stadt damit zu kämpfen, dass Pflegeberufe wegen ihrer schlechten Bezahlung und des hohen Leistungsdrucks zunehmend an Attraktivität verlören. „In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren stehen wir in Berlin vor dem gleichen Problem wie in Brandenburg“, ist sich Krüger sicher.

Brandenburg habe seine Stärken vor allem im Bereich der Reha-Einrichtungen. Die ländliche Region bietet dem Genesenden andere Erholungsmöglichkeiten als die quirlige Metropole. Auch der Schwerpunkt Brandenburgs in der Landwirtschaft bietet in Krügers Augen Möglichkeiten. „Die Auseinandersetzung mit der Ernährung wird den Menschen zunehmend wichtiger und spielt eine große Rolle in der Prävention, im Fitnessbereich und in der Wellness.“

Zudem sei auch Brandenburg nicht unattraktiv für Wissenschaft und Forschung. So sei der Life-Science-Bereich in den vergangenen Jahren erheblich ausgebaut worden, die Fachhochschulen Wildau und Lausitz spielen dabei eine wichtige Rolle, ebenso die BTU Cottbus. Junge Menschen treffen hier auf gute Studienbedingungen: Die Universitäten sind modern ausgestattet, das Betreuungsverhältnis ist optimal. „Was allerdings fehlt“, gibt Krüger zu, „sind die großen Player in der Wirtschaft.“ Im Bundesland finden sich überwiegend kleine oder mittelständische Unternehmen.

Fehlende Fachkräfte

Angesichts der wachsenden Gesundheitswirtschaft und einem drohenden Arbeitskräftemangel liegt der wichtigste Handlungsschwerpunkt des Netzwerkes im Bereich Lehre, Aus- und Fortbildung. Als Partner fungieren unter anderem die Industrie- und Handelskammer Berlin sowie der Bildungsdienstleister SPI Consult.

Dass der Bedarf an Fachkräften für die Gesundheitswirtschaft steigen wird, darin sind sich alle einig. Im Gesundheitswesen wird dabei der Mangel an Fachkräften derzeit am stärksten wahrgenommen – das ergab eine Umfrage im vergangenen Jahr, die von der IHK Berlin durchgeführt wurde. Vor allem Ärzte und Fachschwestern und -pfleger in leitenden Positionen fehlen. Betroffen ist aber auch die so genannten „Health Care Industry“, die dringend auf Technische Assistenten und Ingenieure verschiedener Spezialisierungen angewiesen ist.

Kampf um qualifizierten Nachwuchs beginnt

Eine ähnliche Beobachtung macht Jürgen Becke vom Gesundheitsministerium Potsdam: „Der Kampf um die jungen Leute geht schon los“, so Becke. So würden beispielsweise Zahnärzte in Brandenburg mehr und mehr die Ausbildungsvergütung anheben, um Nachwuchs in die Praxis zu bekommen.

Ein allgemeines Urteil über die Ausbildungssituation zu fällen, sei schwierig, findet Marion Haß von der IHK Berlin. Da die Gesundheitswirtschaft sehr unterschiedliche Branchen umfasse, seien auch die Ausbildungswege entsprechend verschieden gestaltet.

Soft Skills fehlen in der Ausbildung

Die Feldstudie der IHK Berlin, die den Bildungsbedarf für Berlin und Brandenburg durch die Befragung von Unternehmen ermittelte, stellte im vergangenen Sommer außerdem fest, dass es nicht nur an fachlichen Kompetenzen mangelt. Negativ bewertet wurden vor allem die so genannten „Soft Skills“ der Arbeitskräfte. „Ihnen fehlt oft die soziale Kompetenz“, so Marion Haß. „Das wird in der Ausbildung bisher zu wenig beachtet und geht unter dem steigenden Leistungsdruck im Arbeitsalltag oft unter.“ Dienstleistungsgedanke und die Serviceorientierung sind aber vor allem in den Bereichen der Therapie und Pflege sehr wichtig.

Die Studie bemängelt auch fehlende Fremdsprachenkenntnisse. Ein echtes Manko der Fachkräfte, wie Marion Haß findet: „Wir sind vor allem in Berlin sehr international ausgerichtet mit Patienten aus allen Ländern, vor allem aber aus Osteuropa und auch aus Skandinavien. Und wir wollen den Patiententourismus in unsere Region in Zukunft auch verstärken.“ Neben fundierten Sprachkenntnissen sind hier auch interkulturelle Kompetenzen gefragt, das Verständnis für andere Gepflogenheiten und Gebräuche. „Das hat noch nicht das Gewicht in der Ausbildung, wie wir uns das wünschen.“ Verbessert werden müsse nach den Erhebungen der Studie außerdem das technische Verständnis.

Weiterbildung wichtigster Faktor

Krueger sieht die Chancen vor allem im Bereich der Weiterbildung, die über kleinere Module funktioniert und sich an die wendet, die bereits im Beruf stehen. Das ist vor allem für Arbeitnehmer und Unternehmen interessant, die sich den intensiven Zeitaufwand anderer Ausbildungsmodelle nicht leisten können. „Die Weiterbildung stellt wahrscheinlich den wichtigsten Faktor in der Entwicklung des Ausbildungsmarktes dar“, glaubt Krüger. Nur knapp die Hälfte aller Ausbildungen findet in schulischer Vollzeit statt.

Die Weiterbildung müsse allerdings besser und anders organisiert werden, meint Becke. Die Maßnahmen seien bisher schlecht miteinander vernetzt. „Diejenigen, die sich weiterbilden wollen, müssen zum Teil selbst dafür sorgen, dass die Einheiten gut aneinander anschließen und kein Leerlauf entsteht“, kritisiert er. „Es fehlt die nötige Transparenz“, sagt auch Krüger. Oft sei denen, die eine Aus- oder Weiterbildung in Anspruch nehmen, unklar, welche Zertifizierung tatsächlich seriös und Karriere fördernd sei. SPI Consult hat über das Internetportal MediNet eine Übersicht seriöser Ausbildungen und Studiengänge zusammengestellt.

Bildungsexport in andere Länder

Die Region braucht nicht nur Ausbildungsmöglichkeiten, die den eigenen Fachkräftemangel abdecken. „Wir müssen über unseren Bedarf hinaus ausbilden“, weiß Jürgen Becke vom Gesundheitsministerium Potsdam. „Denn viele gehen anschließend nach Bayern oder Baden-Württemberg, wo sie mehr verdienen können als hier.“ Diesen Export von Arbeitskräften begrüßt nicht jeder. Krankenkassen sehen es nicht gerne, wenn sie durch die pflegesatzfinanzierte Ausbildung ihr Geld in die Abwanderung von fähigen jungen Arbeitssuchenden stecken. Auch anderswo gibt es die Kritik, dass andere Bundesländer von den Bemühungen Berlins um eine gute Ausbildung und seinen universitären Angeboten profitieren. Raphael Krüger sieht das weniger problematisch: „Das ist doch eines der edelsten Dinge, die man tun kann“, findet er, „ sich mit einer guten Ausbildung auch über die eigenen Grenzen hinaus zu engagieren.“

„Uns bringt das Netzwerk eine ganze Menge“, resümiert Haß. Sie seien mit ihren Partner enger zusammen gerückt. Haß ist überzeugt: „Wir treiben das Handlungsfeld nach vorne. Dafür braucht man ein Netzwerk, das kann man nicht allein.“