Prävention in der Schule: Der Haushaltsführerschein der Projektagentur Berlin
Es ist ein unscheinbarer Flachbau in einer Seitenstraße in Berlin Zehlendorf, in dem ein ehrgeiziges Projekt zur Gesundheitsprävention koordiniert wird. Oder besser: wurde, denn gerade wird wieder einmal verhandelt über die Zukunft des so genannten „Haushaltsführerscheins für SchülerInnen“. Ein Führerschein für Haushaltsführung? Das klingt nach Bürokratie, meint aber, dass Kinder selbst für ihre Gesundheit sorgen können sollen, wenn Mutti und Vati in der Woche spät von der Arbeit kommen und wieder mal nur Tiefkühlpizza im Gefrierfach liegt.
Der Flachbau ist die Hauptadresse der Projektagentur Berlin. Hier wurde die Idee zum Haushaltsführerschein für SchülerInnen geboren und bis zur Praxisreife weiterentwickelt. Nach Inhalten mussten Rainer Konrad, geschäftsführender Gesellschafter der Projektagentur, und seine MitarbeiterInnen dabei nicht lange suchen. Als ehemaliges Tochterunternehmen des Vereins „Freunde der Domäne Dahlem“ bietet die Projektagentur seit Jahren Kindernachmittage zum Thema ökologische Landwirtschaft auf dem Gelände des agrarhistorischen Museums und Bioland-Betriebes an. Der Denkschritt von der ökologischen Produktion von Lebensmitteln zu deren gesunder Weiterverarbeitung war also nicht allzu groß. Die Zielgruppe blieb in etwa dieselbe und fügte sich wie selbstverständlich in die Forderung nach Nachhaltigkeit, einen der Kerngedanken des Haushaltsführerscheins. „Irgendwann wurde uns klar, dass wir mit einzelnen Nachmittagen die Essgewohnheiten der Kinder nicht dauerhaft verändern können“, so Konrad.
Evaluationsergebnis: nachhaltig, erfolgreich und förderungswürdig
In Gesprächen mit der Senatsverwaltung für Bildung Berlin, Schulen und Eltern wurde ein tragfähiges Konzept erarbeitet. Für die Finanzierung sorgte zum einen die Projektagentur selbst, einen Großteil steuerte die AOK unter der Bedingung bei, dass das Projekt evaluiert werde. Rund zehn Wochen, nachdem die ersten zumeist drei-bis vierköpfigen Teams in den Schulen waren, bewerteten sowohl die Zentrale für angewandte Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften GmbH als auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf das Projekt Haushaltsführerschein als nachhaltig erfolgreich und förderungswürdig. Wenig später kam sogar die Bestätigung von (fast) ganz oben: Der Führerschein für Schüler/innen wurde als „Offizielles Projekt der Dekade der Vereinten Nationen zur Bildung für nachhaltige Entwicklung 2005-2014“ ausgezeichnet.
Mitmachen-Können ist fest im Konzept verankert
Seit dem Frühjahr 2007 wurden in Berlin fünfzehn 4. und 5. Grundschulklassen jeweils eine Schulwoche lang für den Haushaltsführerschein unterrichtet und es gab kein Kind, das die abschließende Prüfung nicht geschafft hat. „In diesem Alter sind die Kinder noch mit Feuereifer dabei, wollen alles ausprobieren und selber machen“, berichtet Stephanie Wetzel, eine der beiden Koordinatorinnen des Projekts. Das Mitmachen-Können ist – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit – fest im pädagogischen Konzept des Projekts verankert. Doch nicht nur angewandtes Kochen, Bügeln und Knöpfe-Annähen stehen in dieser Woche auf dem Stundenplan, auch theoretisches Hintergrundwissen über Lebensmittel, den Umgang mit Haushaltsgeräten, aber auch Körperhygiene werden den Schülern nahe gebracht.
Leistung, die stolz macht, erbringt man gern wieder.
Am Ende der Woche winkt die Urkunde, die von allen TeilnehmerInnen mit Stolz entgegengenommen wird. Und eine Leistung, die stolz macht, erbringt man gern wieder.
Gedeckanordnung und Tischmanieren
Das geistige Fundament des Unterrichts, der mindestens von einer Ernährungsfachkraft und zwei Assistenten durchgeführt wird, entspricht den Grundwerten der Projektagentur: Gesundheit, soziale Kompetenz und Kultur sollen vermittelt werden. Mindestens ebenso wichtig wie die Lerninhalte ist den Machern die Gestaltung des Unterrichts. Die Schüler arbeiten in kleinen Gruppen, in denen die Gemeinsamkeit im Vordergrund steht, und beim anschließenden Verzehr des Selbstgekochten wird auf die korrekte Anordnung der Gedecke nicht weniger geachtet als auf Tischmanieren. Dass die Methode bei den Kindern offenbar ankommt, zeigen die massenhaft eingesandten Briefe und Bilder, allesamt positive Rückmeldungen, die auch von ersten selbständig zubereiteten Gerichten erzählen. Insgesamt bewegen sich alle Kinder mit mehr Selbstvertrauen im Haushalt.
Von Schokoriegeln und Äpfeln
Das ist einigen der frisch examinierten Haushaltsführern auch zu wünschen, denn immer mehr Kinder bleiben nach der Schule erst einmal sich selbst überlassen. Da liegt dann der Schokoriegel meist näher als der Apfel – mit dem Ergebnis, dass Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen in den letzten 20 Jahren rapide anstiegen. Erst neuere Studien über den Gesundheitszustand deutscher Kinder, wie etwa die groß angelegte KIGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts, machen das Ausmaß der Fehlentwicklung deutlich, die jetzt mit Händen und Füßen korrigiert werden soll. Viele Schulen sehen sich allerdings außerstande, Ernährungslehre und Haushaltsführung in den Unterricht zu integrieren. Das Fach Arbeitslehre hat zwar hauswirtschaftliche Anteile, es wird aber lediglich als freiwillige Veranstaltung in Haupt- und Realschulen angeboten. Hoffnung verspricht die zunehmende Einrichtung von Ganztagsschulen, die immerhin beim Mittagessen Kindern und Jugendlichen eine gesunde Ernährung schmackhaft machen kann.
Auch das Projekt muss schlanker werden
So vielfältig wie die deutsche Schullandschaft sind auch die Überlegungen, wie es mit dem Haushaltsführerschein weitergehen soll. Die letzten Kurse sind gerade in Potsdam ausgelaufen. Sie wurden durch Mittel der Klassenlotterie ermöglicht, die das Brandenburger Bildungsministerium bereitgestellt hatte. Doch jetzt sind die Quellen erst einmal ausgeschöpft. Das vorläufige Konzept wird in dieser Form nicht weiter finanziert werden, dazu ist es einerseits momentan zu kostspielig und passt zum anderen noch nicht in die bestehenden Rahmenbedingungen der jeweiligen Schulen. „Das Projekt muss schlanker werden“, konstatiert Konrad. Bisher habe man für Schulen ohne oder mit nur dürftig ausgestatteten Lehrküchen Ausweichmöglichkeiten anmieten müssen, das werde sich in Zukunft ändern. Transportable Sets mit Küchenzubehör und Modellen von Großgeräten sollen stattdessen selbst in einem einfachen Klassenraum für die nötige Anschaulichkeit sorgen und dabei auch das bewährte Learning-by-doing weitestgehend erhalten. Außerdem soll der Personalaufwand – der mit Abstand größte Kostenfaktor –verringert werden. Die Aufgabe der beiden Assistenten, die im Wesentlichen in der Beaufsichtigung der Kinder besteht, kann ebenso gut von Lehrern oder Eltern übernommen werden, wenn die denn wollen. Von der Einsicht der Schulen in die Notwendigkeit einer solchen Präventionsmaßnahme sowie deren Bereitschaft zu eigenem Engagement hängt letztlich auch der Erfolg des Haushaltsführerscheins ab.
Auf dem Weg in den Masterplan
Die Projektagentur Berlin hat mit dem Haushaltsführerschein noch Großes vor. Sie sitzt mit am Tisch der Arbeitsgruppe Prävention des Netzwerks Health Capital Berlin-Brandenburg, das derzeit einen umfassenden Masterplan Gesundheit für die Region Berlin-Brandenburg ausarbeitet. Der Haushaltsführerschein soll als festes Instrument zur Gesundheitsprävention in den Masterplan integriert werden, so das Bestreben der Projektagentur. Den momentanen Anforderungen des sich immer noch in Arbeit befindlichen Präventionsgesetzes entspricht er in jedem Fall. Wie er dann genau aussehen soll, steht noch nicht fest. Einig ist man sich darüber, dass Haushaltsunterricht – voraussichtlich in Form einer AG – mehrmals im Verlauf der Schulzeit stattfinden soll, um das Gelernte nachhaltig in den Kinderköpfen zu verankern. Zur Zeit ist ein 3-Stufen-Plan im Gespräch, der Haushaltsunterricht in drei punktuellen Einheiten zwischen Kita und 6. Klasse vorsieht und dabei schon bestehende Angebote unter einem Namen versammelt, darunter auch den vom aid-infodienst seit Herbst 2007 angebotenen „Ernährungsführerschein“. Wenn es nach der Projektagentur geht, sollte der Haushaltsführerschein bis zur Mittel- und Oberstufe weitergeführt werden.
Aus Berlin für Deutschland
Langfristig hofft die Projektagentur auch, den Haushaltsführerschein bundesweit als festen Bestandteil der Bildung von Kindern und Jugendlichen zu installieren. „Wir wollen den Haushaltsführerschein so professionell anbieten, dass er als deutschlandweiter Standard Maßstäbe setzt.“
Der Gesundheit zukünftiger Generationen wäre dies zu wünschen.