Interkulturalität als Ressource nutzen!

Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft – eine Erkenntnis, die sich in den letzten Jahren zögerlich durchgesetzt hat. Dies hat weitreichende Konsequenzen auch für die Ausgestaltung der gesundheitlichen Versorgung, denn die durch Migrationsprozesse veränderte Bevölkerungsstruktur spiegelt sich in der Nutzerstruktur gesundheitsbezogener Dienstleistungen wider. Eine angemessene Gesundheitsversorgung setzt die Anerkennung und Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt der Bevölkerung und die Verankerung von Interkulturalität als Querschnittsthema in Ausbildung und Beruf voraus.

Interkulturelle Strategien in den Unternehmen und Organisationen des Gesundheitsbereichs sind bisher noch eine Ausnahmeerscheinung. Dabei ist die interkulturelle Transformation der Institutionen dringend geboten, um die Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft zu meistern. Durch die mangelnde Integration gerade im Bildungs- und Arbeitsmarktbereich ist in den 90er Jahren erhebliches soziales Konfliktpotenzial als Resultat von Ausgrenzung und Diskriminierung entstanden (Kohlmeyer 2000). Die berufliche Teilhabe von Migranten in dieser Branche zu fördern ist ein Beitrag zu einer höheren Qualität der Versorgung sowie zu mehr Chancengleichheit und sozialer Kohäsion.

Interkulturelle Kompetenz – ein Gewinn für die gesundheitliche Versorgung

Razum et al (2004) weisen darauf hin, dass „der Zugang von Migrant/innen zur Gesundheitsversorgung dort am besten [ist], wo sie als Akteure aktiv einbezogen sind.“ Zwischen Bevölkerungsstruktur und der Beschäftigtenstruktur im Gesundheitswesen besteht jedoch eine Diskrepanz, wie sich am Beispiel Berlins verdeutlichen lässt: Lebten im Jahr 2006 ca. 600.000 Migrant/innen, davon 460.000 Ausländer/innen ohne deutschen Pass (13 Prozent der Gesamtbevölkerung) in der Stadt, lag ihr Anteil in den dualen Ausbildungsstätten für Gesundheitsberufe bei unter 4 Prozent. Für die Verringerung dieser Diskrepanz sprechen viele Argumente:

Multikulturelle Arbeitsteams bereichern ein Unternehmen und sind wichtige Impulsgeber, um die Herausforderungen der Globalisierung zu meistern. Gerade in Hinsicht auf eine optimale Gesundheitsversorgung sind Professionelle mit Migrationshintergrund wichtige Partner für den kultursensiblen Umgang mit den Patient/innen. Nicht jede Person mit Migrationshintergrund hat per se auch interkulturelle Handlungskompetenz. Aber sie bringen gute Voraussetzungen mit, entsprechende Kompetenz zu entwickeln – bzw. sie verfügen sehr oft über interkulturelle Kompetenzen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Interkulturelles Management im Gesundheitswesen sollte sich dabei nicht auf die vermehrte Einstellung von Migranten beschränken, sondern ist ein Instrument, das die gesamte Personalpolitik durchdringen muss (Fischer 2007). Durch die gezielte Vermittlung und Förderung interkultureller Kompetenz werden alle Mitarbeiter befähigt, sich auf den Umgang mit Fremdheit in interkulturellen Überschneidungssituationen einzustellen. Diese Qualifizierung ist ein wichtiger Baustein im Prozess der interkulturellen Öffnung, um die Strukturen in Einrichtungen der Regelversorgung hin zu einer adäquaten Versorgung von Migranten weiterzuentwickeln.

Barrieren abbauen – Kompetenzen anerkennen

Doch warum geht die berufliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund nur so zögerlich voran? Oft erweisen sich mangelnde Deutschkenntnisse, Benachteiligungen im Einstellungsverfahren, fehlende Förderansätze, hohe Abbruchquoten und diskriminierende Haltungen als unüberbrückbare Barrieren auf dem Weg in einen Beruf im Gesundheitswesen.

Ein wichtiger Schritt zum Abbau dieser Barrieren wäre, die schulische und berufliche Ausbildung von Migrant/innen zu verbessern und das Wissen über die Möglichkeit einer Ausbildung im Gesundheitswesen zu vertiefen. Dazu gehört, das Bildungspotential, das Migrant/innen aus ihren Gesellschaften mitbringen, anzuerkennen und zu fördern. Bei Auswahlverfahren dürfen Mehrsprachigkeit und interkulturelle Aspekte nicht nur als „Zusatzkompetenzen“ angesehen werden. Die Überprüfung und Weiterentwicklung der Auswahlverfahren an den Ausbildungsstätten und der Einstellungsverfahren bei den Unternehmen – die kulturelle Aspekte adäquat einbeziehen und fachliche Kompetenzen nicht nur über Sprachbeherrschung messen – sind dringend geboten.

Beim Berufsinformations- und Berufswahlverhalten werden die herkömmlichen Informationsangebote sehr viel seltener genutzt und Vorbilder aus dem persönlichen Umfeld spielen eine größere Rolle. Hier bieten Jobpaten, die selber einen Migrationshintergrund haben und die Zielgruppen über die Möglichkeiten einer Ausbildung im Gesundheitswesen informieren, einen guten Zugang. Ein solches Netzwerk aus Jobpaten aus dem Gesundheitswesen wurde im Rahmen des Projektes „Active Health“, in Kooperation zwischen Gesundheit Berlin, der BGZ Berliner Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit mbH und der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Berlin entwickelt. Zusammen mit den Jobpaten wurden bereits viele Berufsinformationsveranstaltungen über Gesundheitsberufe an Schulen durchgeführt und eine begleitende Homepage unter www.gesunde-perspektive.de wurde gestartet.

Ohne solche ressortübergreifenden Anstrengungen wird das Potenzial einer multikulturellen Gesellschaft für das Gesundheitswesen ungenutzt bleiben. Gefragt sind Initiativen, die schulische Akteure, Ausbildungsträger und Gesundheitsunternehmen, aber auch die politisch Verantwortlichen in die Pflicht nehmen.

Literatur:

  • Razum O., Geiger I, Zeeb H, Ronellenfitsch U. (2004): Gesundheitsversorgung von Migranten. Deutsches Ärzteblatt; 101: A2882-A2887
  • Fischer, V. (Hrsg.) (2007): Chancengleichheit herstellen – Vielfalt gestalten: Anforderungen an Organisations- und Personalentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft, Frank & Timme, Berlin
  • Kohlmeyer, K. (2000): Die berufliche Integration junger Migranten/innen in Berlin. Analysen und Handlungsansätze. Berlin
  • Gesundheit Berlin (Hrsg.) (2007): „Qualität und Innovation im Gesundheitswesen sichern – berufliche Integration von Migrant/innen fördern!“, Dokumentation der Fachtagung am 7.11.07. Berlin