Mit der Gesundheitsreform 2007 wurde vor allem der Wettbewerbsgedanke zwischen Leistungs- wie auch Kostenträgern verstärkt, ohne an der solidarischen Gesamtausrichtung für die Versicherten zu rütteln. Weniger erfolgreich war die Regierungskoalition allerdings bezüglich der Stärkung des Nachhaltigkeitsprinzips. Im Sinne des vorsorgenden Sozialstaats sollte nach der Bundestagswahl insbesondere dem Leitgedanken der Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen deutlich mehr Raum gegeben werden – vor allem vor dem Hintergrund, dass das Gesundheitssystem der Bereich des Sozialstaates ist, der von der demographischen Entwicklung am stärksten betroffen ist.
Zentral für die Realisierung von mehr Nachhaltigkeit ist die Stärkung der vorsorgenden Gesundheitspolitik, die alles unternimmt, Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen und ihren Verlauf abzumildern. Wir sollten durch den intensiveren Ausbau der Prävention als eigenständige, zentrale Säule des Gesundheitswesens erreichen, dass die Menschen gesund leben und gesund bleiben. So einfach sich das liest, so bedeutsam ist dieses Prinzip: Im Gegensatz zu den meisten anderen Politikfeldern ist Nachhaltigkeit hier nämlich nicht mit Einschränkungen für die jetzt Leistenden verbunden. Vielmehr schafft Prävention unmittelbar einen Zuwachs an Lebensqualität. Die Menschen werden länger arbeits- und leistungsfähig bleiben. Der Anteil der Tage mit gesundheitlichen Einschränkungen, die jede und jeder von uns erlebt, kann deutlich gesenkt werden.
Vermeiden & Heilen
Diese Neuausrichtung auf einen stärker vorsorgenden Ansatz soll erreichen, dass unser Gesundheitswesen sich zukünftig hauptsächlich über die Vermeidung von Krankheiten definiert und weniger über die Behandlung bereits eingetretener Erkrankungen. Der Anspruch, dass jede und jeder die bestmögliche medizinische Hilfe bekommt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: Wir müssen ein besonderes Augenmerk auf den Abbau von geschlechtsbezogenen und sozial bedingten Ungleichheiten von Gesundheitschancen setzen. Zielgruppen mit sozialen Benachteiligungen müssen im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen. Bei Prävention und Gesundheitsförderung müssen wir sicherstellen, dass wir gerade schlechter situierte Menschen durch unsere Maßnahmen, die im Alltag und somit an der individuellen Lebensrealität aller Bürgerinnen und Bürger ansetzen müssen, auch wirklich erreichen.
Mit dem Umbau unseres Gesundheitswesens schlagen wir einen gemeinschaftlichen Weg ein, der auf Einzelverantwortung und staatlich-gesellschaftliche Verantwortung gleichermaßen setzt. Prävention kann nur erfolgreich sein, wenn jeder einzelne mitwirkt, sich bewusst ernährt und mehr bewegt. Der Staat und die gesellschaftlichen Gruppen stehen gleichermaßen in der Verantwortung, Angebote zur Wissensvermittlung über Ernährung und Bewegung zu machen und Strukturen zu schaffen, die eine nachhaltige Umsetzung dieser Angebote auch ermöglichen. Unsere Gesundheit wird auch von unserer sozialen Umwelt und unserer Arbeitssituation beeinflusst. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass Kindergärten, Schulen, Betriebe, Sportvereine, Seniorenheime und viele weitere Einrichtungen eng mit den Sozialversicherungsträgern zusammenarbeiten.
Wichtig ist uns zudem die Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie der Rehabilitation, damit Menschen länger arbeits- und leistungsfähig sind. Prävention begreifen wir als eine Querschnittsaufgabe, die in allen Lebenswelten verankert werden muss und in vielen Lebensbereichen ansetzt. Die Investitionen in Prävention und Gesundheitsförderung sind nachhaltig und lohnenswert, auch wenn sich dies erst mittel- bis langfristig bemerkbar macht.
Vielfach erscheint Prävention heute als ein weiches Thema. Wer verknüpft schon grundlegende gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen oder die Verteilung von Lebens- und Gesundheitschancen mit der Frage von schmackhaften, gesunden Mahlzeiten und mit der Überwindung des inneren Schweinehunds, wenn es gilt, sich zu bewegen? Dies darf uns jedoch nicht davon abhalten, die politische Relevanz von Prävention für zentrale Ziele vorsorgender Sozial- und Gesundheitspolitik zu erkennen.
Stärken der Nachhaltigkeit
Mit einer deutlichen Stärkung der Rolle von Prävention sparen wir nicht nur einen großen Anteil der heutigen Gesundheitsausgaben künftig durch niedrigere Folgekosten ein, sondern wir stärken auch das Prinzip der Nachhaltigkeit – und zwar ohne, dass wir einzelne Menschen von Gesundheitsleistungen ausschließen würden.
Dabei bemühen wir uns vor allem um die Beseitigung sozial bedingter Ungleichheiten, die heute noch Einfluss auf die Ausprägung von Krankheitsrisiken und die Höhe der individuellen Lebenserwartung haben. Im Krankheitsfall erhalten alle Menschen jedoch die gleichen medizinischen Leistungen auf hohem Niveau, die solidarisch finanziert werden. Zudem sind Produkte und Dienstleistungen im Gesundheitsbereich Zukunftsmärkte mit erheblichem Wachstums- und Beschäftigungspotential, die wir zukünftig stärker nutzen können.