Neue Disziplin »Global Health« – Die Herausforderung der Globalisierung

Kommentar von Kirsten Schubert & Kayvan Bozorgmehr

Globalisierung und Gesundheit – zwei oft fehlinterpretierte Worte vereinen sich in dem Begriff »Global Health«. Nur umfassend verstanden, er forscht und praktiziert gibt jedes für sich und beides zusammen Sinn. Gesundheit, als physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden zu verstehen wird oft gefordert und selten erreicht. Allein mit der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) formulierten Definition kann eine gesundheitsförderliche Umgebung geschaffen werden – lokal, national oder global – und nur mit dieser Basis kann »Global Health« verstanden werden.

Paris im Juli 1851. Mit der »International Sanitary Conference« begann im 19. Jahrhundert die Entwicklung einer internationalen Gesundheitspolitik und der Disziplin International Health. Technische Innovationen und handelspolitische Entscheidungen führten in dieser Zeit zu einer Zunahme internationaler Verflechtungen – die Globalisierung erfuhr einen deutlichen Schub, welcher in diesem Ausmaß erst wieder Ende des 20. Jahrhunderts zu beobachten war. »Exotische« Erreger aus aller Welt wurden zunehmend als Bedrohung für die Bürger Europas im In- und kolonialen Ausland wahrgenommen. Internationale Richtlinien und Quarantänebestimmungen sollten vor den Gefahren aus fernen Kontinenten schützen, während gleichzeitig internationaler Handel und Schiffsverkehr gewährleistet werden sollte (WHO 1958).

Tropenmedizin bestimmt die Forschung

Der historisch begründete Fokus auf die Eindämmung von Infektions- und Tropenkrankheiten aus und in den so genannten Entwicklungsländern setzte sich auch im 20. Jahrhundert fort und prägt bis heute einen Großteil der Forschungsschwerpunkte der Internationalen Gesundheitswissenschaften.

Die zweite Welle der Globalisierung Ende des letzten Jahrhunderts jedoch ging mit einer Änderung in der Wahrnehmung von Gesundheit im internationalen Kontext einher. Dieser Wandel spie gelt sich in dem Begriff »Global Health« wider, der aus dem Bestreben entstand, den traditionell engeren Fokus der Disziplin International Health zu erweitern. So wird in einer globalisierten Welt Gesundheit auch im Kontext der zunehmenden grenzüberschreitenden Flüsse von Ideen, Informationen, Kulturen und Gütern gesehen – und so mit auch im Kontext der gegenseitigen Abhängigkeit.

Von Innerer Sicherheit zur Außenpolitik

Die Wahrnehmung von Gesundheit, die mit dem Begriff »Global Health« gemeint ist, reicht hierbei von Gesundheit als Instrument der Außenpolitik und der inneren Sicherheit bis hin zum uneingeschränkten Menschenrecht und der Grundlage solidarischen Handelns (Stuckler D und McKee M 2008). »Global Health« – ein Begriff mit vielen Strömungen also – wie auch die vielfältigen Definitionen und Akteure verdeutlichen.

Die gesundheitlichen Folgen der mit der Globalisierung einhergehenden Veränderungen im täglichen Leben – positiver sowie negativer Art – werden heute kaum noch bestritten und sind in allen Ländern der Welt zu beobachten. Die Beschleunigung des Alltags führt zu Stress und Leistungsdruck mit seinen Folgen für Psyche und Körper und die Ungleichverteilung des Zugangs zur Gesundheit nimmt eher weiter zu als ab, trotz eines in diesem Ausmaß noch nie da gewesenen Wohlstandes. Gesundheit als Menschenrecht, als ein öffentliches Gut, tritt immer mehr in den Hintergrund und ökonomische Interessen bzw. die Vermarktungsfähigkeit gewinnen an Bedeutung. Gleichzeitig werden viele gesundheitliche Rechte eher von sozialen Bewegungen erkämpft als von politischen Kräften entwickelt.

Die Diskrepanz zwischen Wissensstand und politischer Praxis stellt die größte Herausforderung dar.

In diesem Kontext wird der Ruf nach der Beachtung der politischen, ökonomischen und sozialen Determinanten der Gesundheit weltweit zu nehmend lauter. So findet der im August dieses Jahres veröffentlichte Report der »Commission on Social Determinants of Health« der WHO hierzu deutliche Worte: »(the) toxic combination of bad policies, economics, and politics is, in large measure, responsible for the fact that a majority of people in the world do not enjoy the good health that is biologically possible« (CSDH 2008).

Global Denken – Lokal Handeln

Immer mehr Universitäten und Institute erkennen diese Zusammenhänge und richten Forschungsabteilungen und Lehrstühle zum Thema »Global Health« ein. Hier wird der Versuch unternommen, lokale Public Health Bedürfnisse im Kontext einer globalisierten Welt zu verstehen und zu beeinflussen. Das Motto heißt: think global – act local.

Know-Do-Gap

Die junge Disziplin »Global Health« versteht sich nicht nur als ein Praxisgebiet, sondern auch als Forschungs- und Ausbildungsdisziplin (Rowson M et al 2007). Sie untersucht die Zusammenhänge zwischen den lokalen sowie den globalen sozialen Determinanten der Gesundheit weltweit, d.h. sie beschäftigt sich mit den Gesundheitsproblemen in Entwicklungsländern ebenso wie mit denen von Menschen in Industrienationen. Damit vereint »Global Health« die Horizonte von International und Public Health auf allen genannten Ebenen von Praxis, Forschung und Lehre. Die interdisziplinäre Umsetzung von Wissen in konkrete Maßnahmen der Gesundheitsförderung wird dabei als Lösungsansatz für gesundheitliche und gesellschaftliche Herausforderungen angesehen. Die Überwindung der so genannten »know-do gap«, der Diskrepanz zwischen dem Wissensstand und der tatsächlichen politischen Praxis stellt hierbei die größte Herausforderung dar.

Gesundheitspolitik & gesunde Politik

Diese Herausforderung, politische Maßnahmen durch in der Forschung gesammelte Evidenzen zu beeinflussen und auf ihre Folgen für die Gesundheit zu evaluieren, so zum Beispiel in Form eines Health Impact Assessment, wird in einer Politik, die zunehmend global geprägt ist, jedoch immer schwieriger. Für die »neue Ära eines Global Public Health« (Beaglehole et al. 2004) bedarf es daher einer deutlichen intersektoralen Neuorientierung sowie innovativer Strategien in Forschung und Praxis.

Neben den beiden Säulen International Health und Public Health sollte die Disziplin »Global Health« daher durch eine dritte Säule der »Aktion« oder »policy making« gestärkt werden, die bewusst politischer und praktischer Natur ist. Diese drei Säulen, auf einem Fundament aus den Prinzipien »Gerechtigkeit, Solidarität und Partizipation« stehend, stützen die Forderungen einer Bewegung nach »Gesundheit für Alle« (WHO 2005) – nicht nur durch Gesundheitspolitik, sondern durch gesunde Politik.

Harmonisierung der Innen und Außenpolitik

In der Landschaft der deutschen Wissenschaft und Praxis stehen die beschriebenen drei Säulen räumlich voneinander isoliert und zumeist auf unterschiedlichen ideologischen Fundamenten. Nicht von ungefähr wird »Global Health« in Deutschland auch als »Politikfeld von unterschätzter Bedeutung« bezeichnet (Hein W. 2007), insbesondere wenn es um die Harmonisierung sowie Zuständigkeit bei innen- und außenpolitischen Themen mit Auswirkungen auf die Gesundheit geht. Während hinsichtlich der Wissenschaftslandschaft die Säule International Health durch Tropenmedizin an Universitätskliniken oder durch postgraduale Studiengänge mit Blick nach Süden vertreten ist, hat die deutsche Public-Health-Landschaft seinen Fokus, mit wenigen Ausnahmen, kaum über die Ländergrenzen hinaus gerichtet. Das Fundament der Public-Health-Säule teilt sich zudem in das einer »engen« monodisziplinären sowie einer »weiten« multidisziplinären Strömung (Beaglehole R und Bonita R 1997). Während die »enge« die Fortsetzung des biomedizinischen Krankheits- und sozialmedizinischen Verhaltensmodells darstellt, zielt die multidisziplinäre PublicHealth-Perspektive auf eine nachhaltige Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen und der Determinanten der Gesundheit ab (Noack RH. 2003). Eine gemeinsame Plattform mit den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, der praktischen Politik sowie der Zivilgesellschaft scheint aber hierfür in Deutschland noch nicht gefunden, um die dritte Säule der »Aktion« im Sinne einer von der WHO geforderten »health in all policies« zu errichten.

Die Herausforderungen, denen Akteure im Gesundheitswesen gegenüberstehen, bedürfen jedoch qualifizierte Fachkräfte mit einer weiten PublicHealth-Perspektive, der Fähigkeit, kollaborativ interdisziplinär und sektorenübergreifend zu arbeiten, sowie der Kraft, politische Prozesse auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zu beeinflussen (Beaglehole et al. 2004).

Diese Schnittstellenproblematik haben andere Länder bereits gelöst, indem sie Forschung, Lehre und Maßnahmenplanung unter dem Dach der Disziplin »Global Health« vereint haben.

Ideale Voraussetzungen in Berlin

Ein starkes Interesse an »Global Health« in Deutschland ist bei vielen Akteuren in Gesundheit und Entwicklung festzustellen. Angebote, die im Rahmen der Globalisation and Health Initiative (GandHI), einer Initiative von Medizin studierenden, geschaffen wurden, finden rege Nach frage. Projekte wie ein Wahlfach »Global Health« im Medizinstudium sind nicht mehr bloße Wunschvorstellungen, sondern konkret in Planung. Als Bestandteil der nationalen und internationalen Medizinstudierendenvertretung bestehen auch Kontakte zu anderen im Bereich »Global Health« aktiven Gruppen in aller Welt.

Der Anspruch, verschiedene Sektoren aus Forschung, Gesellschaft und Politik zu integrieren, stellt jedoch eine größere Herausforderung dar. Berlin bietet mit seinem wissenschaftlichen und politischen Spektrum ideale Voraussetzungen für eine multidisziplinäre, global orientierte Gesundheitswissenschaft. So sind in der Stadt alle Facetten, die zur Errichtung einer Disziplin »Global Health« notwendig wären, vorhanden – von der medizinischen Fakultät, Instituten des International Health und der Berlin School of Public Health bis hin zu sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituten, politischen Entscheidungsträgern, NGOs sowie einer globalisierten, aktiven Zivilgesellschaft.

An der Charité wurde zu dem im letzten Jahr am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie die Projektgruppe Internationale Gesundheitswissenschaften geschaffen.

Eine Stärkung dieser Abteilung, aber auch die Entwicklung einer multidisziplinären Einrichtung für »Global Health«, ähnlich dem »Institute of Global Health« am University College of London, wären wertvolle Schritte zur Stärkung dieser Disziplin in Deutschland.

Literatur

  1.  Beaglehole R. und Bonita R. Public Health at the Crossroads. 1997. Cambridge, Cambridge University Press.
  2. Beaglehole, R. et al., »Public health in the new era: improving health through collective action,« Lancet 363 (9426): 2084-2086 (2004).
  3. CSDH. Closing the gap in a generation: health equity through action on the social determinants of health. Final Report of the Commission on Social Determinants of Health. 2008. Geneva, WHO.
  4. Hein W., »Global Health. A policy field of underestimated importance.,« Compass 2020. Germany in international relations.Aims instruments, prospects., 2007.
  5. Noack RH. 2003. Public Health in Europa: Forschung, Ausbildung und Perspektiven. In Das Public Health Buch: Gesundheit und Gesundheits wesen. 2 ed. Edited by Schwartz F.W. München, Jena: Urban & Fischer.
  6. Rowson M et al. Global Health and medical education – definitions, rationale and practice. Background paper for the WHO Comission on Social De terminants of Health. 2007.
  7. Stuckler D und McKee M, »Five metaphors about globalhealth policy.,« Lancet 372: 9597 (2008).
  8. WHO. The First ten years of the World Health Organization. 1958. Geneva, World Health Organization.
  9. WHO. The Health for All po licy framework for the WHO European Region: 2005 update. 2005. Genf, World Health Organization. European Health for All Series; No. 7.