Krankenhaus:Markt – Kapazitäten, Kompetenzen & Konkurrenzen

Interview mit Prof. Dr. h. c. Bernhard Motzkus

Die Krankenhausfinanzierung wird in Deutschland seit dem Frühsommer wieder intensiver geführt und spielte – von den Personalkosten bis zur Investitionsfinanzierung – auch bei der Festlegung des einheitlichen Beitragssatzes (Stichwort: Gesundheitsfonds) eine entscheidende Rolle. Ein damit unmittelbar verbundenes Thema ist die durch die Krankenhauspläne der Länder zu gewährleistende Daseinssicherung. Die Frage also: Auf wie viele Häuser müssen also die vorhandenen Ressourcen verteilt werden?

Wie sieht es in Berlin mit der Krankenhausfinanzierung aus – und ganz banal: Haben wir Überkapazitäten?

Im internationalen Vergleich muss festgestellt werden, dass wir in Deutschland mit unseren Krankenhaus-Bettenkapazitäten weltweit in der Spitzengruppe liegen und mit den durchschnittlichen Krankenhausfallkosten im Mittelfeld vernünftig angesiedelt sind. Gewissermaßen betreiben wir somit seit Jahren in Deutschland eine völlig verfehlte Gesundheitspolitik. Im Bereich der Fallkosten werden die Sparaktivitäten jährlich neu verschärft, der Abbau kostenintensiver Bettenüberkapazitäten jedoch wird weder thematisiert noch in Angriff genommen.

Kommt es im im DRG – Zeitalter denn nicht weniger auf Betten als auf Fallzahlen an?

Diesen Leitspruch hat jemand in die Welt gesetzt – und viele sprechen es nach, dabei ist er falsch. Die »Fälle« – also Patienten – liegen nach wie vor in den Krankenhausbetten. Die Vorhaltung von Betten bleibt trotz des DRG – Abrechnungsverfahrens ein wesentlicher Kostenfaktor. Der Zusammenhang von Fallzahlen, Betten, Verweildauern und Standortvorhaltungen ergibt einen klaren Überblick. Die Verweildauer ist das Bindeglied zwischen Fallzahlen und Betten. Im Jahre 2000 hatten wir in Berlin 23000 Betten und eine Verweildauer von 10 Tagen. Die DRG – Verweildauerprognosen lagen für 2015 bei ca. 5 Tagen. Das hätte einen Bettenbedarf von rechnerisch 11.500 Betten für Berlin ergeben. Wenn wir den demografischen Faktor mit berücksichtigen, lägen maximal 15.000 Betten für Berlin in bedarfsgerechten der Prognose.

… und Berlin hat knapp 20.000?

Im Jahr 2007 hatten wir insgesamt 19.400 Betten in Berlin, und der neue Krankenhausplan lässt keine wesentlich Bettenabsenkungen vermuten. Es ist politisch schlicht unpopulär, einen Krankenhausbettenabbau zu realisieren. Einen wesentlichen Bettenabbau mit Standortaufgabe hat es in Berlin Mitte der 80er Jahre mit einem Minus von 1.600 Betten gegeben. Und zwar mit der Fusion des Rudolf-Virchow-Krankenhauses und des Universitätsklinikums Charlottenburg. Das hätte den damaligen CDU-Senator Fink beinahe sein Amt gekostet, denn diese Maßnahme war beim Koalitionspartner FDP und der Opposition höchst umstritten.

Bettenabbau oder Standortaufgabe?

Das ist eine wichtige Frage! Es ist von der Kostensituation her von entscheidender Bedeutung, ob Fälle auf drei amputierten Standorten angeboten werden oder auf 2 voll ausgelasteten, denn jeder einzelne Standort verfügt über Fixkosten, die nicht vom Leistungsgeschehen abhängig sind. So wären z.B. bei der Charité wesentliche Kosteneinsparungen dadurch zu erzielen, dass das gesamte Leistungsspektrum durch Leistungsverdichtung auf 2 Standorte fokussiert wird. Nicht Stantortamputation ist gefordert, sondern Leistungsverdichtung auf konzentrierte Standorte. Ich habe einmal berechnet, dass bei dem Universitätsverbund Charité – Berlin dadurch ca. 100 Mio. Euro Fixkosteneinsparungen erzielt werden könnten. Bei der ständig fallenden Landesbasisfallrate wäre dies eine dringend notwendige Aktion auch im Interesse der Einrichtung selber. Weniger ist manchmal eben mehr.

Die Verweildauern sinken, und die Fall zahlen steigen. Ist Ihre Beurteilung damit nicht auch angreifbar?

Wenn Sie die deutschen Statistikzahlen betrachten, dann liegen Berlin und Brandenburg im Bundesdurchschnitt im unteren Segment. Eigentlich müsste nichts getan werden. Aber alle Bundesländer haben das gleiche Problem. Zum einen sind Betten- und Standortreduzierungen immer unpopulär. Zudem haben wir durch das DRG-System Einheitspreise, was einen Preiswettbewerb unmöglich macht. Und auch ein Leistungswettbewerb ist aufgrund der meist fehlenden Transparenz für den Kunden kaum existent. Und noch ein weiterer Faktor: Ärzte in Weiterbildung benötigen zur Facharztanerkennung einen umfangreichen Leistungsnachweis. Dies führt zur Tendenz, in Zweifelsfällen zu einer Operation zu raten – somit ist der Vorwurf, dass in Deutschland zu viel operiert wird, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.

Andere Länder machen eine bessere Planung auf: Dort gibt es limitierende Bettenkapazitäten. Zuerst werden somit die Spontanoperationen abgearbeitet – planbare dann nach freien Kapazitäten eingetaktet. Lediglich bei Auftreten langer Wartelisten werden Kapazitäten erweitert.

Die Krankenkassen fordern das sogenannte »Einkaufsmodell«, wonach jede Krankenkasse für ihre Mitglieder die günstigsten Anbieter aussuchen kann. Wäre das nicht eine Lösung?

Das könnte auch eine gefährliche Entwicklung auslösen: Ein Krankenhaus ist kein Hotel oder eine übliche Produktionsstätte. Krankenhäuser verfügen weitgehend über ausgewählte und zusammengesetzte Strukturelemente. Wenn ein Krankenhaus z.B. einen traumatologischen oder orthopädischen Schwerpunkt mit einem qualitätsorientierten Mengengerüst aufgebaut hat und damit über hervorragende Operations- und Therapeutenteams verfügt, so erfordert dies seinen Preis.

Würde bei einem Einkaufmodell der Krankenkassen diese Leistung zum Dumping-Preis eingekauft werden, würde ein solcher Leistungsschwerpunkt wegbrechen. Ein Hotel kann bei einer geringeren Belegungsnach frage jederzeit reagieren, eben so ein Produktionsbetrieb bei geringerer Produkt-Nachfrage. Krankenhäuser mit hochqualifizierter Personalstruktur benötigen langfristig abgesicherte Versorgungsverträge.

Zurück zur Debatte des Sommers. Überkapazitäten unterstellt: Wie wirken sich diese im investiven Bereich aus?

1972 wurde das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser als Jahrhundertgesetz geschaffen. Das Prinzip: Betriebskosten werden durch die Pflegesätze und die Investitionskosten durch Fördermittel gesichert. Die Länder kamen aber ihren gesetzlichen Verpflichtung inklusive der Absicherung einer bedarfsgerechten Krankenversorgung nicht nach. Der jährliche Bedarf zur baulichen Refinanzierung liegt beispielsweise in Berlin bei ca. 200 Mio. Euro, gefördert werden 50 Mio. also lediglich 25%. Ein Krankenhausbett mit Infrastruktur kostet in der Neuerrichtung ca. 220.000 Euro. Schon dieser Finanzierungsengpass fordert Standortreduzierungen.

Helfen nicht Förderpauschalen, die bei der neuen Reform vom Bund angedacht sind?

Dieser Ansatz liegt bedauerlicherweise völlig neben der Sache. Ein bisschen schwanger geht nicht. Stellen Sie sich vor, ein 400-Bettenhaus muss im Jahre 2012 seine komplette Haus- und Betriebstechnik mit ca. 35 Mio. Euro sanieren. Nehmen wir an, das Krankenhaus hätte ab 2009 jährlich mit der DRG – Zahlung eine  Refinanzierungspauschale von 2 Mio. Euro erhalten. Dann wären 6 Mio. Euro vorhanden, und 29 Mio. Euro Fördermittel fehlten. Woher sollten diese Fördermittel kommen? Natürlich kann versucht werden, diese am Kapitalmarkt zu erlangen – was aber ohne Landesbürgschaft, die mit Sicherheit nicht gegeben wird, kaum möglich ist. Gleichzeitig müssten aber auch für die kurzfristigen Anlagegüter (Medizintechnik und IT-Kommunikation) zusätzlich mit einem Betrag von jährlich 1,6 Mio. Euro finanziert werden. Auch dieses Geld steht nicht zur Verfügung. Noch größere Probleme entstehen bei einer Ersatzbaufinanzierung. Das ist alles nicht zu Ende gedacht.

Wie soll somit Ihrer Einschätzung nach eine nachhaltig gesunde Krankenhauslandschaft geschaffen werden?

Im Grunde genommen ist seit 1972 im KHG alles bestens geregelt. Es muss nur alles konsequent umgesetzt werden. Der Handlungsschwerpunkt liegt bei den Ländern. Diese müssen bedarfsgerechte Krankenhauspläne mit einem langfristigen Zeithorizont aufstellen und dann auch konsequent umsetzen. Dazu gehört elementar, dass auch der Investitionsstau für die Reststandorte abgebaut wird. Konkret: Den Krankenhäusern müssen die erforderlichen Investitionen durch die Förderbehörde zur Bestandssicherung zur Verfügung gestellt werden.

Wissen Sie, ich bin überzeugt, dass genug Geld im System vorhanden ist. Es muss nur in wirtschaftlichen Strukturen vernünftig verteilt werden. Krankenhausplanung muss mit Standortreduzierungen Fixkosten freisetzen und Fusionen abfordern. Dann sind nur noch fachkundige und politisch unabhängige Fusionsmanager zu finden und einzusetzen.

 

Prof. Dr. h. c. Bernhard Motzkus war leitender Verwaltungsdirektor der Charité. Unter dem früheren Gesundheitssenator Ulf Fink war er langjähriger Krankenhaus- und Planungsreferent. Über 20 Jahre strukturierte er die Universitätsmedizin in Berlin.