Konzepte, Kosten, Kooperationen – was die Berliner Politik nun von der Charité erwartet

Ein neuer Vorstand und viele Baustellen

Die Charité als Leuchtturm, dieses Bild mag Wolfgang Albers nicht: »Ein Leuchtturm steht nur rum und blinkt, aber manchmal ist er auch ein Irrlicht.« Nicht, dass der Mediziner Albers, der für die Linke als gesundheits- und wissenschaftlicher Sprecher im Abgeordnetenhaus sitzt, die Charité nicht als fachlich exzellente Einrichtung ansehen und schätzen würde, doch tief sitzt seine Skepsis gegen die Leuchtturm-Funktion, die ihr im Masterplan für eine »Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg« zugewiesen wird, dem Prestigeprojekt, von dem sich die beiden Landesregierungen europaweite Ausstrahlung und zehntausende Arbeitsplätze er hoffen. Und mit dieser Skepsis ist er im Abgeordnetenhaus und selbst im Regierungslager nicht allein, auch wenn Hans-Gerhard Husung, der Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wissenschaft, versichert, dass der Masterplan auf einem guten Weg sei.

Die Charité als Nukleus der Gesundheitsregion

– das ist eine der großen Perspektiven, die von der Berliner Politik in der jüngsten Zeit für Europas größte Universitätsklinik entworfen wurden. Aber das Haus, da sind sich die Politiker aller Fraktionen im Abgeordnetenhaus mit dem Senat einig, steht auch für sich selbst betrachtet vor enormen Herausforderungen. Die Phase der Konsolidierung nach der Fusion der beiden Medizinfakultäten von Humboldt- und Freier Universität ist noch längst nicht abgeschlossen. Und zuletzt schien die Charité nicht nur finanziell in schwieriges Fahrwasser geraten zu sein. Auf dem neuen, Anfang September ins Amt gekommenen Vorstands vorsitzenden Karl Max Einhäupl und der um ihn herum neu besetzten oder noch zu besetzenden Leitungsebene ruhen entsprechend große Erwartungen.

Neue Herausforderungen

Dass Einhäupl und seinem Team Zeit gegeben werden müsse, eigene Visionen zu entwickeln – zumindest darauf können sich der Senat und alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus noch verständigen. Doch schon bei der Frage, ob der Umbau der Charité-Spitze mit den aktuellen Neubesetzungen abgeschlossen sein sollte, gehen die Auffassungen weit auseinander. Hans-Gerhard Husung betont für das Haus von Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner den hohen »Wert struktureller Stabilität«. Die Führung sei im jetzigen Aufbau handlungsfähig: »Die handelnden Personen müssen diese Strukturen ausfüllen.« So sieht das auch die wichtigste Oppositionspartei. Ob etwa Unternehmer geist im Charité-Vorstand vertreten sei, sei mehr eine »Charakter frage« als eine des Lebenslaufes, findet Nicolas Zimmer, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU. Bei den Oppositionsparteien FDP und Grüne dagegen wünscht man sich mindestens mittelfristig eine Erweiterung des bislang dreiköpfigen Vorstands. Sebastian Czaja, der wissenschaftspolitische Sprecher der Liberalen im Abgeordnetenhaus, denkt dabei »ausdrücklich an jemanden mit kaufmännischem Hintergrund«, der die Charité im Management »vom schwerfälligen Tanker zum Schnellboot« entwickeln solle. Die Wirtschaftspolitikerin Lisa Paus, Charité-Expertin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, will da am liebsten noch einen Schritt weiter gehen. Eine zusätzliche Person im Vorstand sollte ihrer Meinung nach die Pflege »an der Spitze repräsentieren«, um diesen Tätigkeitsbereich der Charité, den sie stark vernachlässigt sieht, besser zu integrieren.

Nicht nur weil solch hehre Umbauwünsche immer auch eine Änderung des Universitätsmedizingesetzes bedeuten würden, bleibt der Staatssekretär vorsichtig. Änderungen am Gesetz müsste man »empirisch abstützen«, erklärt Husung. Die in den vergangenen Jahren eingerichteten Zentren »bedeuten auch eine neue Managementstruktur, die jetzt ihre Potenziale erst entfalten muss. Wir verfolgen die weitere Entwicklung aufmerksam. Die Dinge müssen sich erst mal entwickeln können.«

Der Charité-Führung sind die Hände gebunden

Kritik an den beschränkten Handlungsmöglichkeiten der Charité-Führung war zuletzt auch öffentlich von einigen Personen geübt worden, denen die Sachkenntnis kaum abzusprechen war. So erklärte Andreas Tecklenburg, Vizepräsident der Medizinischen Hochschule Hannover, der in Verhandlungen mit dem Senat über einen Wechsel als Klinikdirektor nach Berlin gestanden hatte, in einem Gastbeitrag in der letzten Ausgabe von puls.b, dass er sich mit Bedauern gegen die Charité entschieden habe, unter anderem weil das Hochschulgesetz »eine effektive Führung verhindert.« Und der lang jährige Charité-Dekan Martin Paul zog gegenüber der Presse eine kritische Bilanz, als er im Frühjahr einem Ruf an die Universität Maastricht folgte. In den Niederlanden werde er nun endlich agieren »und nicht nur reagieren« können, wie es in Berlin nicht zuletzt aufgrund der gekürzten Landeszuschüsse leider der Fall gewesen sei.

Diese Äußerungen kamen jedenfalls bei Lars Oberg, dem neuen wissenschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, nicht gut an: »Ein feiner Stil« sei es, wenn Paul gehe und dann Kritik an seinem ehemaligen Arbeitgeber übe, von der vorher nie etwas zu hören gewesen sei. Die Schwierigkeiten, die der alte Vorstand gehabt habe, »haben sie teils selbst geschaffen.«

Parteien kritisieren Haushaltsführung

Die Schwierigkeiten beruhen letztlich auch auf der angespannten Finanzsituation, nach wie vor eine der größten Sorgen für die Charité und eine der dringlichsten Baustellen für den neuen Vorstand. Für Staatssekretär Husung sei das Defizit aber nicht allein ein Berliner, sondern ein bundesweites Problem aller Universitätskliniken: »Die Charité ist dabei, die Kosten unter Kontrolle zu bringen.« Für die Regierungsparteien ist klar, dass der Ball bei der neuen Leitung der Charité liege. »Der alte Vorstand hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.«, der Meinung ist auch Obergs Mitkoalitionär Wolfgang Albers von der Linken. Kaum ein Haushaltstitel sei in der Vergangenheit ohne Sperrvermerk geblieben. »Es ist leicht, sich beim Geldgeber Land zu beschweren«, spöttelt Oberg, die Charité müsse lernen die Vorgaben einzuhalten, ständige Kostensteigerungen seien nicht akzeptabel. Dass noch Sparpotenziale vorhanden seien, sieht auch die Opposition so. Aber nach Zimmers (CDU) Auffassung ist der finanzielle Bedarf der Charité dennoch »in den letzten Haus halten nicht angemessen berücksichtigt worden«, eine Ansicht, über die man seitens der SPD nur verächtlich schnaubt.

Helios – der private Partner

Als großes Negativbeispiel für die Schwierigkeiten, die die Charité noch mit einer transparenten und nachvollziehbaren Haushaltsführung hat, machte in den vergangenen Monaten das Klinikum in Buch Schlagzeilen, wo die Charité in ihrer Kooperation mit dem Krankenhauskonzern Helios nicht immer sorgfältig zwischen den Mitteln getrennt haben soll, die in Forschung und Lehre fließen sollten, und jenen, die für die Krankenversorgung vorgesehen waren. Das Problem einer vernünftigen Trennungsrechnung stellt sich in allen Universitätskliniken. In Buch wurde es aber besonders brisant, weil die Befürchtung im Raum stand, dass womöglich ein privater Partner von Steuergeldern profitierte. Die mit der Prüfung beauftragten Berater von PricewaterhouseCoopers erarbeiten derzeit noch einen Nachbericht. Entsprechend abwartend verhält sich der Senat.

Die Linke fordert aber schon jetzt einen Ausstieg aus der Kooperation mit Helios: »Buch gestaltet sich so kompliziert, dass man einen Strich ziehen sollte. Das wird sonst eine Never-Ending-Story. Man kriegt die Trennungsrechnung nicht so hin, wie es sein müsste. Beiden Seiten ist gedient, wenn das auseinander geht«, sagt Wolfgang Albers. Die Wissenschaftsverwaltung widerspricht dem kleinen Koalitionspartner vehement: »Es hieße«, so Hans-Gerhard Husung, »das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn daraus der Schluss gezogen würde, es dürfe keine Kooperationen mehr mit privaten Partnern geben. Das ist im Bereich der klinischen Studien ja sogar besonders angesagt.«

Etwas vorsichtiger als die Linke formuliert die CDU. Nicolas Zimmer zieht aber ebenfalls schon Lehren aus den Vorgängen in Buch: »Der immaterielle Vorteil, den Helios aus der Kooperation mit der international anerkannten Charité gezogen hat, ist nie monetär unterlegt worden.« Das müsse sich bei ähnlichen Projekten ändern. Auch sei beim Vertragscontrolling versagt worden. Das Trans parenz gebot gegenüber Parlament und Öffentlichkeit müsse in Zukunft stärker beachtet werden. Lars Oberg (SPD) will dagegen ein anderes Ergebnis schon jetzt festhalten: In Buch sei die Dokumentation schlampig gewesen, »aber es gab keine Finanzierung privater Ärzte.«

Synergieeffekte durch Kooperation

Anders als mit der Helios-Kooperation hat die Linke mit der angestrebten engeren Zusammenarbeit der Charité mit den landeseigenen Vivantes-Kliniken im Berliner Südwesten kein Problem, ganz im Gegenteil. Das Zusammengehen zweier Partner, die sich in der öffentlichen Hand befinden, sieht Albers als unkritisch. Wie weit eine solche Kooperation gehen könnte, ist noch unklar. Von einer weitgehenden Verschmelzung im Südwesten scheint Charité-Vorstandschef Einhäupl, seinen ersten Äußerungen im Amt zufolge, wenig zu halten. Er denkt offenbar mehr in den Kategorien von gemeinsamem Geräteeinkauf und Materialbeschaffung, möglicherweise auch einer Zusammenlegung klinisch-theoretischer Einrichtungen. Gegen »kleine, praktische, alltägliche Kooperationen« hat Sebastian Czaja von der FDP nichts einzuwenden, ansonsten aber zeigt er sich skeptisch: »Mathematisch ergibt minus und minus plus. Ich glaube aber nicht, dass diese zwei Landesunternehmen wirklich Synergieeffekte schaffen. Damit wird alles nur noch intransparenter.« Die SPD setzt aber gerade auf diese Synergien.

Die geplante Kooperation mit Vivantes hat auch Ängste im Südwesten wach werden lassen, dass der Standort Benjamin-Franklin bald wieder in Frage gestellt werden könnte – besonders nachdem mit Martin Paul einer seiner großen Fürsprecher die Charité verlassen hat. Der Senat beruhigt. »Dass wir die Thematik der größeren Versorgung im Südwesten haben, weiß jeder in Berlin«, räumt Wissenschaftsstaatssekretär Husung ein, aber für die Senatsverwaltung ist die Standortdiskussion auf absehbare Zeit vom Tisch. »Wir haben die Diskussion geführt und wir haben ein Ergebnis. Ich denke, dass es darauf ankommt, nicht durch erneute grundsätzliche Diskussionen diese stabile Grundlage zu gefährden, sondern sie mit Leben zu erfüllen«, sagt Husung. Eine Position, die die CDU, seinerzeit eiserne Verteidigerin des Standortes Steglitz, aus vollem Herzen unterstützt. »Die Struktur ist der Größe der Stadt geschuldet«, verteidigt Nicolas Zimmer die Präsenz der Charité in Steglitz, Mitte, Wedding und Buch.

Stefanie Winde, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus, hält allerdings die hohe Zahl der Universitätsbetten in der Stadt nicht für dauerhaft tragbar, da sie zu teuer für die Krankenkassen seien. Die Entscheidung, Benjamin-Franklin nicht zu schließen, habe enorme Auswirkungen gehabt. »Darüber ist nachzudenken, auch wenn Einhäupl das nicht gerne hört.«

Und auch die mitregierende Linke will diesen trauten Konsens zwischen Senator und größter Oppositionspartei ganz so ungetrübt nicht lassen. Ob Benjamin Franklin universitär bleiben müsse, sei schon zu diskutieren, meint Wolfgang Albers. Gleiches gelte auch für die Frage, was aus Buch werde. Und die Grünen hätten ebenfalls gegen eine Diskussion um eben diesen Standort rein gar nichts einzuwenden, wie Lisa Paus erklärt: »Die Charité sollte sich mit Standorten nicht überheben und sich auf Mitte, das Virchow-Klinikum und Benjamin-Franklin konzentrieren.«

Berlin und Brandenburg als Partner

Konzentration ist auch das Stichwort, das der Senat vorbringt, wenn es um den Rückzug der vorklinischen Ausbildung aus Brandenburgs Krankenhäusern geht. Der Schritt der Charité hatte im Nachbarland für Befürchtungen gesorgt, weniger junge Ärzte könnten in Zukunft nach Brandenburg wechseln, wenn sie die dortigen Kliniken im Rahmen ihrer Ausbildung nicht mehr kennenlernten. Die Wissenschaftsverwaltung kann das nicht nachvollziehen. »Bei den Lehrkrankenhäusern mag ein falscher Eindruck entstanden sein.«, versucht sich Hans-Gerhard Husung an einer Erklärung, »Der Lehrkrankenhausstatus ist nicht gekündigt worden, auch wenn es Gründe gab, die klinische Ausbildungsphase in der Charité zu konzentrieren.

Die Ärzte kommen anschließend im Praktischen Jahr weiterhin in die Häuser, die Hoffnung auf Klebeeffekte ist also weiterhin berechtigt.« Die Grüne Paus aber findet das Signal »nicht hinnehmbar«, das so an Brandenburg gesendet werde.

Dort werde jetzt überlegt, eine eigene Universitätsmedizin aufzubauen: »Die Charité täte gut dran gegenzusteuern.« Auch Union-Mann Zimmer sieht die Kooperation zwischen Berlin und Brandenburg »schwer im Argen«, eine »kritische Revision« mit allen beteiligten Einrichtungen und Abnehmern sei dringend erforderlich.

Gesundheitsregion – Fiktion oder Realität

Schließlich, so lautet die Argumentation der Kritiker, brauche die Charité das gute Einvernehmen mit Brandenburg, wenn der Masterplan Gesundheitsregion ein Erfolg werden solle. Und ob da für alle Weichen gestellt sind, da gehen die Meinungen auseinander. Aus dem »Lenkungskreis auf Staatssekretärs ebene« kann Husung nur Positives berichten: »Wir haben Anlass zum Optimismus«.

Die Charité müsse sich ihrer Rolle als Wirtschaftsfaktor bewusst werden, was man vom Senat zur Gesundheitsregion höre, bleibe aber »im Nebulösen«, befindet dagegen Nicolas Zimmer. Auch die FDP befürwortet zwar die Idee der Gesundheitsregion, Sebastian Czaja hält den Masterplan aber für eine »Fiktion« – wegen der »realen Probleme«.

Lisa Paus von den Grünen sieht vor allem die Gefahr, dass nicht ausreichend kontrolliert werde, ob an sich sinnvolle Ziele des Plans auch erreicht werden. »Er droht zu zerfasern, zu versanden, zu verwässern.« Die 30.000 bis 40.000 Arbeitsplätze, von denen geredet worden sei, hätten die Grünen von Anfang an für illusorisch gehalten. »Da glaubt ja niemand dran«, sagt Paus.

»Es sind ehrgeizige Ziele«, gibt Staatssekretär Husung mit Blick auf die Arbeitsplätze zu. »Ob die Potenziale realistisch gesehen wurden, kann man nur schrittweise bewerten. Aber es hat ja mit Pfizer auch schon eine erste bedeutende Ansiedlung gegeben, sicher auch durch den Hauptstadtstatus bedingt.« Und auch die Strukturen der Charité für die Kooperation mit Unternehmern seien viel besser geworden, so höre er immer wieder.

Die grundsätzlichste Kritik am Masterplan kommt allerdings ausgerechnet von den Abgeordneten der rot-roten Koalition selbst. Die Bedeutung der Charité für Brandenburg sei geringer als die der Uniklinik Hamburg für das dortige Umland, gibt etwa der Linke Albers zu bedenken und warnt vor »übersteigerten Erwartungen« an das Projekt, gerade was Arbeitsplätze angehe. Es gebe so viele Regionen in Deutschland, die Gesundheitsregion sein wollten, dass dieser Wettbewerb nichts bringe.

Und auf einer noch fundamentaleren Ebene setzt nicht nur die Linke, sondern setzen auch die SPD-Fachleute dicke Fragezeichen hinter die Wachstumsmöglichkeiten, die die Gesundheitswirtschaft generell bietet. »Eine ziemliche In-sich-Wirtschaft« sei das, die ihre Wertschöpfung ja größtenteils aus Krankenkassenbeiträgen beziehe, meint SPD-Mann Lars Oberg. Seine für Gesundheitspolitik zuständige Parteifreundin Stefanie Winde relativiert das zwar, etwa mit Blick auf den Wellness-Bereich, und erinnert daran, dass auch aus von der Charité eingeworbenen Drittmitteln viel Geld in der Gesundheitswirtschaft hängen bleibe. Aber ungeteilte Begeisterung für das Konzept der Gesundheitsregion klingt bei Oberg nicht durch.

Die Rollen als weltweit anerkannte Forschungseinrichtung, als exzellente Ausbildungsstätte und als wichtigstes Krankenhaus der Stadt – kein Berliner Politiker spricht sie der Charité ab. Als Leuchtturm der Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg aber wird sie einige erst noch davon überzeugen müssen, dass sie nicht doch ein Irrlicht ist.