Interview mit Hartmut Schauerte, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, BMWi.
Im Juli 2007 wurde im Bundesministerium für Wirtschaft & Technologie ein Arbeitsstab Gesundheitswirtschaft eingerichtet. Welche Rolle & Funktion soll dieser Arbeitsstab bei der Entwicklung der Gesundheits:Wirtschaft in Deutschland einnehmen?
Wollen Sie Ulla Schmidt mit dem neuen Arbeitsstab eifersüchtig machen?
Keineswegs. Wir wollen das Thema von einem anderen ganz anderen Blickwinkel aus betrachten als das Gesundheitsministerium. Wir wollen vor allem die Gesundheitswirtschaft stärker in die Wahrnehmung heben.
Warum auf einmal?
Mit fast fünf Millionen Beschäftigen ist dieser Sektor einer der stärksten Wirtschaftszweige Deutschlands. Das ist viel mehr als die Automobilindustrie und ähnliche Branchen aufweisen, die stärker im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Inzwischen gibt es in der Gesundheitswirtschaft genau so viele Beschäftigte wie im Handwerk. Die Gesundheitswirtschaft bringt mehr als 12% unseres Bruttosozialprodukts auf. Und ihr Potenzial für weitere Zuwächse in der Zukunft ist groß. Deshalb möchte ich die Gesundheitspolitik ein bisschen aus der Enge der bisherigen Diskussion, in der es überwiegend um die Kosten geht, herausheben und den Blick auf das Thema in seiner ganzen Bedeutung lenken. Auch der Innovations- und der Forschungsstandort Deutschland hat viel mit Gesundheitswirtschaft zu tun.
Als Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung haben Sie vermutlich eine Gruppe dabei besonders im Blick.
Ja, die Selbstständigen sind mir hier sehr wichtig und natürlich die kleinen und mittleren Unternehmen. Die meisten Gesundheitsakteure sind ja Mittelständler – Ärzte, Apotheker, Gesundheitshandwerker, Zulieferer, selbst in der Pharmaindustrie gibt es einige Mittelständler.
Bislang wird die Gesundheitsbranche in der Gesellschaft leider immer nur als Kostentreiber wahrgenommen. Aber sie ist ein wichtiger Teil der Wirtschaft und ihre Probleme sind zum größten Teil dieselben wie in anderen Sektoren.
Einige Teilnehmer des ersten Gesundheitsmarkts fliegen nun raus, weil Kassen Leistungen streichen oder nach Ausschreibungen nur noch wenige Lieferanten für ein Hilfsmittel oder Medikament akzeptieren.
In unserem Gesundheitssystem, in dem der Kunde nicht selber zahlt, sondern den Umweg über die Kassen nimmt, gibt es keine wirksame Preiskontrolle durch Nachfrage. Auch gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen großen Kassen und kleinen Dienstleistern. Wir müssen uns daher fragen, wie man das vielleicht besser organisieren kann.
Zu welchen Antworten sind Sie gekommen?
Wir möchten zum Beispiel die durch dieses System benachteiligten Unternehmen durch faire und mittelstandsgerechte Ausschreibungen unterstützen. Eine mittelstandsfreundliche Vergabe ist mir sehr, sehr wichtig.
Mindert das nicht den von Gesundheitspolitikern gewollten Einspareffekt?
Auch wir wollen den Preisvorteil solcher Ausschreibungen, aber wir möchten verhindern, dass dabei alle Kleinen herausfallen und nur noch ganz wenige große Player übrig bleiben.
Damit sänken die Preise von Hilfsmitteln, Geräten oder Medikamenten aber nicht so stark, wie die Kassen es gern hätten.
Der Preis ist nicht alles. Das steht auch so im deutschen Vergaberecht. Da haben einige Gesund heits politiker nicht so genau hingeguckt. Beim Vergaberecht sind wir im BMWi die Spezialisten. Wir haben deshalb bei den Verhandlungen zur Gesundheitsreform dem Gesundheitsministerium gegenüber immer betont, dass wir den allergrößten Wert auf mittelstandsfreundliche Vergabe legen. Den Passus haben wir konkret mit ausgehandelt.
Was heißt das in der Praxis?
Es sollen zum Beispiel bei den Ausschreibungen kleinere Lose gebildet werden, damit auch solche Anbieter eine Chance haben, die mit ihren Lieferkapazitäten eine große Fläche gar nicht versorgen könnten. Bei bundesweiten Losen würden viele Mittelständler von vorneherein ausscheiden.
Steckt das Wirtschaftsministerium denn auch dahinter, dass die AOK nach dem Streit um die Rabattverträge 2007 nun die Ausschreibung für 2009 in fünf Regionen aufgeteilt hat, sodass ein Arzneihersteller bei Bedarf nur eine Region beliefert?
Möglicherweise haben unsere Argumente geholfen. Denn so wird die Vielfalt erhalten, kleine und mittlere Unternehmen behalten eine Chance. Und damit auch die Arbeitsplätze.
Rollen Sie damit die Gesundheitsreform neu auf?
Nein, ich will diese Debatte weder neu erfinden noch verlängern. Die Reform läuft wie sie ist und sie läuft hoffentlich gut und führt am Ende zu den gewünschten Verbesserungen. Aber ich will andere Fragen stellen, den Blick in der Gesundheitsdiskussion auf andere Dinge lenken.
Abgesehen von den Vergabe-Bedingungen: Womit wollen Sie außerdem den Wettbewerb im Gesundheitswesen stärken?
Wir begrüßen zum Beispiel sehr ein verstärktes Benchmarking der Krankenhäuser und generell verstärkte Transparenz und Qualitätsorientierung bei Gesundheitsdienstleistungen.
Das Wirtschaftsministerium mischt sich auch im Kliniksektor ein, wie bei verschiedenen Krankenhausfusionen zu merken war.
Ja, bei der Fusionskontrolle waren alle ganz überrascht, dass das Kartellamt dort auf einmal eine Rolle gespielt hat. Dass auch im Gesundheitswesen wirtschaftspolitische Kriterien gelten, mussten und müssen wir alle erst lernen. Wenn uns vor 30 Jahren jemand gesagt hätte, dass das Kartellamt die Zusammenlegung zweier Krankenhäuser überprüfen muss, hätten wir den Betreffenden für verrückt erklärt. Heute wissen wir, dass das notwendig ist.
Ist für Sie ein Krankenhaus ein Unternehmen wie jedes andere?
Nein, ein »normaler« Marktteilnehmer ist ein Krankenhaus sicher nicht. Es gibt hier andere Marktabgrenzungen und wir müssen auch immer die Frage der Grundversorgung im Auge behalten. Aber trotzdem gilt es, auf dem Krankenhausmarkt eine zu starke Konzentration zu vermeiden. Da das Gesundheitswesen nicht rein staatlich durchgeführt wird, sondern immer stärker privat organisiert ist, müssen auch hier die entsprechenden Instrumente angewandt werden können.
Also weitere Privatisierungen?
Nicht unbedingt. Wir brauchen eine intelligente Mischung von Krankenhäusern in privater und öffentlicher Trägerschaft. Wichtig ist mir, dass das Thema Gesundheit für alle Interessierten offen ist und offen bleibt.
Welche anderen Bereiche der Gesundheitswirtschaft kann und will das Wirtschaftsministerium fördern?
Den Export von Dienstleistungen zum Beispiel. Im Bereich Medizintechnik haben wir eine Exportquote von mehr als 60%, viel höher als in anderen Branchen. Aber wo wir noch besser sein könnten, ist beim Verkauf von Dienstleistungen und Systemlösungen ins Ausland.
Welche Länder und Dienstleistungen zum Beispiel?
Ich denke an Schwellenländer in Asien, an Osteuropa oder auch die arabischen Erdölexportierenden Länder, die das Geld haben, ganze Kliniken inklusive Planung, Bau, Betrieb etc. zu kaufen. Oft können diese Länder mit einzelnen Geräten nicht viel anfangen, weil sie nicht über die nötige Infrastruktur verfügen. Sie wollen daher alles komplett aus einer Hand. Zum Beispiel in Abu Dhabi. Dort würde man sofort drei Kliniken kaufen.
Und was können Sie da als Ministerium tun?
Wir werden oft angesprochen und gebeten, doch für solche Geschäftsanbahnungen eine Plattform zu bilden. Wir haben zum Beispiel eine Initiative »Engineers and Architects meet Diplomats«. Das wäre auch etwas für Krankenhausarchitekten. Das ist eine äußerst interessante Dienstleistung fürs Ausland. Arbeitskräfte haben diese Länder selbst, aber sie möchten ein Team von Experten einkaufen, die einen Klinikbau von außen und innen planen und leiten, Experten für die medizinische Einrichtung, Leute, die dortiges Personal an neuesten Geräten schulen etc. und nachher für alles zusammen eine Rechnung bekommen. Auch Experten für das ganze Gesundheitswesen sind gefragt, die ihnen sagen können, wie wir es organisiert haben, wie es im staatlichen und privaten Sektor läuft.
Wie können Sie den Beteiligten bei einer solchen Auslandsmarkterschließung helfen?
Wir fördern zum Beispiel die Kontaktaufnahme mit ausländischen Kooperationspartnern, durch spezielle Informations- und Kontaktveranstaltungen in den jeweiligen Ländern und informieren über die Bundesagentur für Außenwirtschaft über Märkte und Branchen weltweit.
Wir ermutigen kleine und mittlere Akteure der Gesundheitswirtschaft, sich stärker zu Netzwerken und Teams aus verschiedenen Bereichen zusammenzutun. Die sollten ihr Wissen bündeln und gemeinsam antreten. Das wird noch zu wenig gemacht. Als Systemanbieter sind Länder wie die USA viel stärker auf den Märkten der Welt unterwegs.
Die USA exportieren eine »Modell-Klinik«, die Mayo-Klinik zum Beispiel, die alle Leistungen zusammen anbietet. Wir brauchen in Deutschland mehr Gesundheitscluster, um ähnlich erfolgreich zu sein.
Wer exportieren will, muss auch Importeure hineinlassen. Wie beurteilen Sie die mögliche Öffnung des Apothekenmarkts für ausländische Ketten? Der Europäische Gerichtshof entscheidet ja bald über die Zulässigkeit des Fremdbesitzverbots.
Ich persönlich glaube, dass es durch eine Öffnung weder einen wesentlichen Versorgungsvorteil geben würde noch eine Kostenersparnis. Ich bin da eher bei den Mittelständlern. Mir ist die bisherige Struktur sehr wertvoll und deshalb halte ich eine Zerschlagung für falsch. Man könnte vielleicht etwas einsparen, aber auf Kosten wohnortnaher Versorgung und guter Beratung. Und die Selbstständigkeit ist ja auch ein hoher Wert für die Gesamtgesellschaft. Demokratien sind ohne Selbstständigkeit nicht denkbar.