Der Multifunktionsmann – Prof. Dr. med Axel Ekkernkamp – Ein Portrait

Die Art, wie dieser Mann selbstsicher, raumgreifend und Hände schüttelnd durch die große Empfangshalle seiner Klinik schreitet zeigt sofort: Axel Ekkernkamp ist vom Erfolg verwöhnt. Nicht einer von der Sorte, dem alles zufliegen würde. Nein, einer der mit starkem Willen seine hochgesteckten Ziele ansteuert und dabei nichts dem Zufall überlässt. Ein Multifunktionsmann, in Berlin: Klinikchef und Ärztlicher Direktor, in Greifswald: Chefarzt und Professor. Was erfolgreiche Normalsterbliche höchstens in zwei Leben schaffen, erreichte er in einem halben – bereits vor knapp zehn Jahren als 42-jähriger. Das geht nur mit eiserner Disziplin und einem 20-Stunden-Tag, sechs Mal die Woche. »Um 4.45 Uhr klingelt werktags der Wecker, nach vier Stunden Schlaf«.

Der Mann muss chronisch übermüdet sein, gezeichnet von tiefen Augenringen und einem früh gealterten Gesicht voller Falten. Tatsächlich tritt einem ein 51-Jähriger entgegen, der sich noch immer einen Rest jugendlicher Frische bewahrt hat. Auf den ersten Blick wirkt Axel Ekkernkamp smart und ein wenig glatt, als sei er ein Mann ohne Ecken und Kanten. Wie einer, der stromlinienförmig auf der Karriereleiter nach oben geschnellt ist. Falsch. Auch der Mut zum Risiko gehört zum Geheimnis seines Erfolges. Der Oberstarzt, ranghöchster Mediziner unter den Bundeswehr-Reservisten, weiß aus eigener Erfahrung: Manche Situationen brauchen die Gefahr des Scheiterns, damit Mann und Frau auch wirklich alles zum Wohle der Gemeinschaft aus sich herauskitzelt. Den Wagemut, Neuland zu betreten, aber auch die Offenheit und die Souveränität, aus Fehlern lernen zu können.

Sein größtes Abenteuer

Sein größtes Abenteuer war die Teilnahme am ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr im Rahmen eines Uno-Einsatzes 1993 in Kambodscha. »Wir sind quasi halbnackt ins eiskalte Wasser geworfen worden. Die Bundeswehr hatte nicht einmal Uniformen für uns, die mussten wir uns von den Franzosen leihen. Die deutschen Hoheitszeichen haben wir dann selbst mit Nadel und Faden angenäht.« Die Abenteuerlust flackert noch immer in seinen Augen, doch plötzlich legt sich auf die sprühende Begeisterung ein dunkler Schatten, Ekkernkamps Züge verfinstern sich. Er berichtet von einer Uno-Streitmacht, die als »erdrückende Übermacht« in Kambodscha einfällt. »Man sah uns nicht nur als Beschützer, sondern auch als Besatzer«. Froh der Schreckensherrschaft der Roten Khmer entkommen zu sein, bekommen die »armen, aber glücklich wirkenden Kambodschaner« auch die Schattenseiten der UN-Präsenz zu spüren. Denn die über 20.000 Soldaten aus 55 Nationen »brachten einem unschuldigen Volk nicht nur freie Wahlen, sondern auch Prostitution und Geschlechtskrankheiten«. Axel Ekkernkamp er lebt zum ersten Mal in seinem Leben ein Gefühl großer Ohnmacht. Da er daran nichts ändern kann, rackert er wie ein Besessener. »In wackeligen, zugigen Containern haben wir Tag und Nacht operiert, um drei Uhr nachts sind wir in den Swimmingpool gesprungen, um fit zu sein für die nächste OP«.

Soldat und hippokratischer Eid

Die Pflicht des Soldaten im Einsatz ist es, nur Soldaten zu behandeln. Doch Ekkernkamp und andere Sanitätsoffiziere empfinden dies als Widerspruch zu ihrem hippokratischen Eid als Ärzte. »Wir konnten unsere Augen nicht vor dem Elend der verletzten Kambodschaner verschließen«. Am Ende sind über die Hälfte aller Patienten auf dem Operationstisch Einheimische, darunter viele Opfer der eigenen Truppen, verletzte Mopedfahrer, angefahren von den Trucks der Uno.

Und welche Schlüsse zieht der hochdekorierte Bundeswehroffizier und wertkonservative Christdemokrat aus diesen Erfahrungen? Axel Ekkernkamp fordert die deutsche Öffentlichkeit auf, gründlicher über den »Sinn von Uno- oder Nato-Einsätzen nachzudenken«. Die Deutschen müssten sich darüber »mehr Gedanken machen. Nicht nur die Politiker, auch jeder einzelne Bürger trägt hier Verantwortung«. Der Reserveoffizier Ekkernkamp verkörpert mit dieser Haltung das Ideal, das die Väter der Bundeswehr bei ihrer Gründung vor Augen hatten: keine Soldaten, die mit dem Fahneneid ihr Gewissen und Denken aufgeben, sondern selbstbewusste und kritische Bürger in Uniform. Spätestens jetzt ist klar: Dieser Mann ist kein gewissenloser Karrierist, sondern ein Mann mit Rückgrat und hohem ethischen Anspruch.

Auftrieb für die eigene Arbeit geben Menschen wie der Rennfahrer Zanardi

Axel Ekkernkamp hat als Unfallchirurg schon alles erlebt. Verstümmelte Menschen, verbrannte Körper, auch viele Patienten ohne Chance auf ein menschenwürdiges Leben. »Wenn Kinder im Spiel sind ist es besonders schlimm« berichtet der zweifache Chefarzt der Unfallchirurgie. Dann erzählt er von Eltern, deren 12-jähriger Sohn in der Großstadt Berlin bei einem Autounfall überfahren wurde. Daraufhin beschloss die Familie, aufs Land zu ziehen. »Als der zweite Sohn dann zwölf war, wurde er ebenfalls Opfer eines Unfalls und starb. Das war fürchterlich«. Auftrieb für die eigene Arbeit geben dagegen Menschen wie der Rennfahrer Alesandro Zanardi, der aus dem Koma aufwachte und statt sich über den Verlust seiner Beine zu beklagen, dankbar zu seiner Frau sagte, »Ich bin stark und ich will leben«. Monate später fuhr Zanardi sogar wieder Autorennen, mit Hilfe von Beinprothesen.

Die digitale Radiologie wird zum Renner

Das zweite große Abenteuer seines Lebens heißt Unfallkrankenhaus Berlin, eine Erfolgsstory, die er als Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer maßgeblich mitgeschrieben hat. Zunächst kannte die Klinik, erzählt Ekkernkamp, kein Mensch. »Wenn jemand vom Flughafen zu uns wollte, sagten die Taxifahrer: Unfallkrankenhaus Berlin? Sie sind vielleicht witzig. Wir sind nicht Pusemuckel; det is’ Berlin, hier gibt’s 19 Unfallkrankenhäuser«. Als 68. Berliner Klinik musste sich das Haus in Marzahn seinen Ruf und Bekanntheitsgrad erst erkämpfen. Mit Schlagzeilen wie: »Das modernste Unfallkrankenhaus Europas« und »Die weltweit erste Klinik mit digitaler Radiologie«, gelang das fast über Nacht. Doch die sensationellen Verheißungen waren in Wahrheit ein Wagnis mit großer Spreng kraft. »Wir hatten keinen Plan B. Wir konnten nicht sicher sein, ob die Vision einer digitalen Radiologie wirklich funktionieren würde«. Sie hätte in einer Katastrophe enden können, wurde aber tatsächlich zum Renner. Für den neuen Ärztlichen Direktor ging ein Traum in Erfüllung. Das gesamte, 1.250 Personen starke Personal, konnte er komplett neu zusammenstellen. Man warb anderen Häusern ganze Stationen ab, ob in der Charité, im Urban-Krankenhaus oder in Buch.

Eine bahnbrechende OP-Methode als Wunder aus Marzahn

Nicht nur als Soldat liebt Ekkernkamp die Rolle des Pioniers, der sich als einer der ersten auf neues Gelände vorwagt. »Wir wollten in Marzahn viele Dinge ganz anders machen«. Das unproduktive Konkurrenzgerangel zwischen einzelnen Chefärzten sollte hier gar nicht erst entstehen. Daher werden die Betten, die OPs und die Technik nicht einzelnen Abteilungen zugeordnet, sondern einem gemeinsamen Pool. Auch den ökonomischen Unsinn, dass die Kosten wegen des DRG-Systems innerhalb des Hauses verschoben werden, gibt es fast überall, nur nicht im Unfallkrankenhaus Berlin. Ekkernkamp träumte sogar von »anderen Formen der Hierarchie«. Der Wunsch nach einer geringeren Hackordnung aus dem Mund eines Bundeswehr-Oberst?

Auch wenn in Marzahn das OP-Besteck nicht vom PJ’ler über den Assistenzarzt und den Oberarzt zum Chef weitergerecht wird, sind diese hochfliegenden Pläne an der Realität gescheitert. Was der Klinikboss aber stolz für sein Haus in Anspruch nimmt, »wir sind ein Haus der Innovation und haben daher immer die neueste Technik. Durch unser Zentrum für klinische Forschung gelangen wir als einer der ersten an die neusten Methoden«. Gerade kommt uns ein Fernseh-Team des ZDF entgegen. »Es geht um eine bahnbrechende OP-Methode. Danach können Querschnittgelähmte mit ihren Händen wieder eine Flasche öffnen oder ihre Morgentoilette alleine bewerkstelligen«. Das klingt wie ein »Wunder aus Marzahn«.

Das schwarze Schaf wird Präsident der Fachgesellschaft

Kann das Unfallkrankenhaus Berlin als erfolgreiches Haus also wirklich alle glücklich machen, vielleicht mit Ausnahme der neidischen Konkurrenz? Fest steht, der ehrgeizige Ekkernkamp muss mit seinen beruflichen Mehrfachbelastungen, »früher brauchte ich von Marzahn nach Greifswald je nach Verkehrslage vier bis sechs Stunden, heute schaffe ich es in zwei Stunden und fünf Minuten«, sehr hart zu sich selbst sein. Muss aber ein Berserker wie Ekkernkamp, der selbst fast unmenschliche Belastungen auf sich nimmt, nicht zwangsläufig von seinen ärztlichen Mitarbeitern fordern, Privatleben und Hobbys ebenfalls dem Klinikalltag zu opfern? Diese Frage muss, ohne Umfrage unter Kollegen, unbeantwortet bleiben. Umso glaubhafter versichert der umtriebige Klinikchef, dass er sich hinter seine Mitarbeiter stellt, wenn sie Fehler machen. »Bei über 1000 Leuten geht immer mal etwas schief.

Ich lege großen Wert darauf, dass ich alles erfahre und immer direkt an die Front gehe, wenn etwas daneben geht«. Kneifen oder sich wegducken ginge gegen seine Prinzipien. Fehler sind für den Oberstarzt eine Herausforderung. »Seit 19 Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Fehler-Management«. Ekkernkamp erinnert er sich an einen Vortrag über Fehler in der Chirurgie vor vielen Jahren, als sei es gestern gewesen. »Da hat mir ein Kollege einen bösen Brief geschrieben, verbunden mit dem Vorwurf, ich würde unseren Berufsstand anschwärzen und solle gefälligst aus der Fachgesellschaft geworfen werden«. Heute ist das »schwarze Schaf«, der »Nestbeschmutzer«, sogar Präsident dieser Fachgesellschaft. Auch hier hat er Großes erreicht. Seit Juli dieses Jahres gibt es in Deutschland endlich den neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. In vielen Ländern weltweit eine Selbstverständlichkeit, wie sie auch Ekkernkamp persönlich als junger Assistenzarzt in der Schweiz erlebte, in Deutschland fast schon eine Revolution.

Es ist absurd, wenn Beamte über Privatisierungen entscheiden

Der Konservative Ekkernkamp kämpft an vielen Fronten gegen überkommene Grenzen und altes Denken. Auch wenn dabei manches Gefecht verloren geht. Sein Lebenstraum einer privaten medizinischen Fakultät in Berlin schien zum Greifen nah, als Kooperation zwischen dem jüdisch-amerikanischen Touro-College und seinem Unfallkrankenhaus. Doch dann brachten Bedenkenträger in den zuständigen Behörden das Projekt zu Fall. Angesichts dieser schmerzhaften Niederlage fordert Ekkernkamp: »Über Privatisierungen sollten keine Gremien entscheiden, in denen nur Beamte sitzen. Es ist doch absurd, wenn der öffentliche Dienst selbst entscheiden soll, ob der öffentliche Dienst Konkurrenz bekommt«.

Verzicht auf ideologische Scheuklappen

Man kann es kaum glauben, dass es auch Ziele gibt, die der Erfolgsmensch Ekkernkamp nicht erreicht hat. Es erscheint eigentlich nur denkbar, dass er diesen Rückschlag nutzt, um neue Kräfte zu sammeln für den nächsten, erfolgreicheren Anlauf. Wie schafft es dieser Mann bloß, in so vielen Fulltimejobs gleichzeitig erfolgreich zu sein? Aus welchem Kraftquell schöpft er, welche Wunderdroge oder welchen Zaubertrunk hat er, den andere nicht haben? Vielleicht ein geheimes Hobby? In Wirklichkeit ist Axel Ekkernkamp, der Mann mit den vielen Funktionen, nicht nur ein Mann fast ohne Freizeit – »ich regeneriere mich sonntags vor meinem Haus auf dem Land in einem 1.000-Seelendorf, an meinem Außenkamin, unter Bäumen« –, sondern auch ein Mann ohne Hobbys. Zumindest ohne solche, die man landläufig als Hobbys versteht. Ekkernkamp: »Mein einziges Hobby heißt Politik«. Dabei verzichtet er lustvoll auf ideologische Scheuklappen. Der CDU-Mann scheut sich nicht, die Linkspartei zu loben. »Die machen eine wirklich gute Kommunalpolitik und sind nah am Bürger, vielleicht weil sie die Menschen im Osten länger kennen«. Noch zeigt er Berührungsängste zu einem altkommunistischen Regime wie Nordkorea. Seit Jahren bildet er nordkoreanische Ärzte aus, 2007 erhielt er dafür die Ehrendoktorwürde der Universität Pjöngjang. Der Antikommunist Ekkernkamp ist überzeugt, »je intensiver der Austausch mit dem Westen, desto stärker wird sich Nordkorea der Welt öffnen.«

Das Rennpferd brennt darauf, sich in einer neuen Arena zu beweisen

Warum aber sucht der renommierte Professor Spaß, Ablenkung und Entspannung vom Berufsstress ausgerechnet in der notorisch erfolglosen Berliner Hauptstadt-CDU, zu einem der stellvertretenden Landesvorsitzenden, natürlich mit dem besten Ergebnis aller acht Stellvertreter, er sich hat wählen lassen? Wer sich als Erfolgsmensch nicht zu schade ist, bei einer oppositionellen 20-Prozent-Partei mitzukämpfen, beweist wahrlich echte Lust an großen Herausforderungen. Was soll ein Mann auch sonst tun, der mit 42 Jahren schon quasi alles erreicht hatte, was er erreichen kann und mit 51 Jahren nicht nur erstaunlich fit ist, sondern Lust verspürt neue, noch höhere Hindernisse zu überspringen? Ein Rasse-Rennpferd wie Ekkernkamp muss vorpreschen und darauf brennen, sich in einer neuen Arena zu beweisen. Schon einmal war er kurz davor, den Raum der Politik erfolgreich zu erobern. »Wenn Diepgen mich 1999 gefragt hätte, hätte ich den Job als Gesundheitssenator gemacht«. Doch dann ging der Posten an die SPD. Unter Frontmann Friedbert Pflüger war er zwar dann erneut »Schattensenator«, das lokale Spielfeld ist ihm jedoch längst zu klein geworden. »Heute reizt mich nur noch die Bundespolitik. Auf dem Feld der Gesundheit kann man nur hier wirklich Dinge verändern.« Auch wenn er es nicht offen ausspricht, Bundesgesundheitsminister, das wäre eine Aufgabe ganz nach dem Geschmack von Axel Ekkernkamp. Einen Verbündeten hat er schon, Wolfgang Schäuble. Der Bundesinnenminister gehört zu seinen treuesten Patienten.