Billige Blutsauger – Die Arbeit des Charité Centrums 5

Für Patienten ist es meist unsichtbar, das »Charité Centrum für diagnostische und präventive Labormedizin.« Dabei tragen die Labore wesentlich zur Diagnosefindung bei. Ein verkannter Spar-Faktor, der effizientere Therapien ermöglicht und Liegezeiten verkürzt? Die eigenen Kosten konnten die acht zusammengeschlossenen Institute bereits stark senken und zehn Millionen für die Berliner Universitätsmedizin einsparen. Unter anderen durch effizientere Logistik.

Mitten in der Operation legen die Ärzte das Besteck nieder und machen Pause. Nur der Anästhesist arbeitet weiter, damit der Patient nicht aufwacht. Jetzt beginnt der Einsatz des Externen: Ein Pathologe der Charité ist mitsamt seinen Geräten für einen sogenannten Schnellschnitt gekommen. Direkt am Ort untersucht er ein Stückchen Gewebe des Operierten. In 10 bis 15 Min. kann er sagen, ob er es mit einer gut- oder bösartigen Geschwulst zu tun hat. Das Ergebnis entscheidet über die weitere Operationstaktik. Der Pathologe nimmt später auch an der Besprechung und an Tumorkonferenzen der Klinik teil.

Dieser Service – Experte plus Geräte plus Befundung und Beratung – ist eine der Dienstleistungen, die das »CharitéCentrum für diagnostische und präventive Labormedizin« (CC5) auch fremden Krankenhäusern anbietet. Der Zusammenschluss aus acht Instituten ist eines der 17 Zentren, die 2005 im Zuge der Restrukturierung der Berliner Universitätsmedizin entstanden sind. Das CC5 umfasst die Bereiche Hygiene, Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie, Pathologie, Virologie und Rechtsmedizin und ist eine wichtige Plattform für Forschungen auf dem Gebiet der Diagnostik. Die Zentrale sitzt im Forum 4 (Forschungshaus) auf dem Campus des Virchow-Klinikums.

Noch arbeiten die Angestellten des CC5 vor allem für Charité-Patienten und die Forschung. Aber die Zahl der Leistungen für Externe steigt. So hat praktisch jedes Berliner und Brandenburger Baby gleich am dritten Lebenstag indirekt Kontakt mit einem Labor der Charité: Fast alle Hebammen und Frauenkliniken schicken ihre Filterpapierkarten mit Fersenblut zum Neugeborenen-Screening dorthin – mehr als 53.000 jedes Jahr. Medizinisch-Technische Assistentinnen (MTA) und Laborärzte untersuchen die Proben auf angeborene Stoffwechsel- oder Hormonerkrankungen, die vor Einsetzen der Symptome behandelt werden können, um Folgeschäden zu vermeiden.

Ziel: Vermeidung unnötiger Operationen

»Vermeidung« ist ein wichtiges Wort für die Chefs des CharitéCentrums 5. Sowohl für den ärztlichen Leiter Rudolf Tauber als auch für Toralf Giebe, den kaufmännischen Leiter. Wobei es Tauber wohl mehr um die Vermeidung unnötiger Behandlungen für den Patienten geht, Giebe dagegen eher um die damit verbundene Vermeidung von Kosten. Zusammen sitzen sie in Taubers Zimmer auf schwarzen Ledersofas – Designklassiker von Dieter Rams – und ergänzen sich. »Oft wird die Labormedizin nur als Kostenfaktor gesehen, aber nicht berechnet, wie viel wir mit unseren Diagnosen für die Kliniken einsparen«, sagen Tauber und Giebe. Genaue Diagnosen ermöglichen unter anderem gezieltere medikamentöse Therapien und können die Liegezeiten enorm verkürzen. »Mit einer Laboruntersuchung, die vielleicht 90 Cent kostet, können wir manchmal ganze Operationen vermeiden, die Tausende verschlingen würde«, sagt Giebe.

Per Rohrpost ins Labor

Als Beispiel nennt Tauber den Verdacht auf Herzinfarkt. »Wir können mit genauen Diagnosen helfen, Hinweise auf die Notwendigkeit teurer Herzkatheter-Untersuchungen zu geben.« Eine Blutanalyse kann nämlich helfen einen Infarkt nachzuweisen, wenn bestimmte Biomarker feststellbar sind, etwa Proteine, die eine Herzgewebeschädigung anzeigen. Außerdem kann das Labor eine erhöhte Blutgerinnungsaktivität beim Patienten feststellen, die auf gefährliche Gerinnsel hinweist. Eine MTA stellt dafür die per Rohrpost ins Labor gesauste Blutprobe des Patienten in ein waschmaschinengroßes, futuristisch anmutendes Gerät mit vielen rot blinkenden Lämpchen, das die Plasma-Gerinnung analysiert. Ergebnis und Befundung teilt der Laborarzt dem Kardiologen per Computer mit, bei Bedarf telefonieren sie. Inzwischen tragen in den Kliniken die Daten aus der InVitro-Diagnostik (IVD) rund 60% zur Diagnose bei – neben Anamnese, körperliche Untersuchung, Röntgen etc.

Sparpotenziale ausschöpfen

Seit der Zentrumsbildung gibt es nur noch ein elektronisches System, in dem die Befundungen eingegeben und abgerufen werden. »Die Zusammenführung der EDV spart nicht nur viel Geld in der Wartung und Entwicklung, sondern vermeidet auch Fehler und Datenverluste, die es vorher gab«, sagt Tauber. Noch mehr gespart hat das CC5 dadurch, dass es Geräte, Methoden und Materialien vereinheitlicht hat. »Vor her hatten wir in den verschiedenen Labors Geräte von drei oder vier Herstellern mit jeweils unterschiedlichen Reagenzien, jetzt müssen wir bei jeder Geräteart nur noch mit einem Lieferanten verhandeln, das senkt Anschaffungs- und Wartungskosten.« Zwar hat auch weiterhin jeder Standort sein Notfalllabor für sehr eilige Diagnosen, aber vieles ist auf dem Virchow-Standort konzentriert worden. Die Schilddrüsendiagnostik zum Beispiel, die es vorher dreimal gab.

Natürlich sind mit dem Zentrum auch Arbeitsplätze verloren gegangen. Hundert Vollzeitkräfte etwa. »Das ist ja immer das Unangenehmste dabei«, räumt Tauber ein. »Aber betriebsbedingte Kündigungen gab es keine«, betont Giebe. Einige Stellen wurden schlicht nicht neu besetzt, manche Angestellte gingen in Altersteilzeit, wenige gingen mit Abfindungen, einige konnten in Forschungsprojekten untergebracht werden, die von der Industrie bezahlt werden und damit nicht das Budget des CC5 belasten, das Giebe eigenständig verwaltet. Unter anderem nutzen und testen die Mitarbeiter im Auftrag der Hersteller große Diagnose-Geräte, die Hunderttausende von Euro kosten würden. Gemeinsam entwickeln sie außerdem Diagnose-Verfahren weiter.

Routine & Fehlerreduktion

»In den fast drei Jahren seit Gründung des CC5 konnten wir rund zehn Millionen Euro einsparen«, sagt Giebe nicht ohne Stolz. Mit seinem Budget sei das CC5 eines der »sparsameren« Zentren. Glaubt man Tauber, konnte die Krankenversorgung trotz Einsparungen sogar noch erhöht werden. Nicht nur wegen der Minderung von Fehlerquellen durch unterschiedliche Systeme und Methoden, sondern auch durch mehr Routine der Experten: Wo früher ganz spezielle Untersuchungen in drei verschiedenen Laboren jeweils höchstens einmal am Tag stattfanden, wird sie nun viel häufiger an nur einem Standort, nämlich in der Zentrale gemacht. Schilddrüsendiagnostik etwa. »Dadurch haben die MTA und die Ärzte viel mehr Übung darin und der Qualitätsstandard steigt«, erläutert Tauber.

Müssen wir demnach eigentlich dem notorisch klammen Land Berlin dankbar sein für den Spardruck der vergangenen Jahre? Tauber, nach einem etwas verdutzten Zögern, »Naja, das wäre schon auch alles von allein gekommen irgendwann, nur etwas langsamer.« Vielleicht sehr viel langsamer.

Für eine bessere Kommunikation mit den vielen angeschlossen Kliniken und auch mit den Externen sei es sehr wichtig, dass sie jetzt eine zentrale Nummer haben, sagt Tauber. Früher hätte man auf den Stationen oft nicht gewusst, wo man anrufen sollte. »Wir haben nun klare Logistiklinien und ein Angebot aus einer Hand«, sagen die beiden Leiter in schönstem Marketingdeutsch. Eine Routine-«Logistiklinie« in der Praxis sieht zum Beispiel so aus: Standort Charité Mitte. Alle Blut-, Urin- und sonstige Proben werden morgens im Zentrallabor zwischen Bettenhochhaus und Hauptgelände gesammelt. MTA scannen die Aufkleber auf den Kunststoffröhrchen, zentrifugieren sie zum Teil und verpacken diejenigen, die gut gekühlt sein müssen, in blaue Gel-Beutel, andere in Spezial-Kühlbehälter. Schilddrüsenhormone zum Beispiel. In Tüten verpackt legen sie die Proben in graue Kunststoffkoffer, innen dick mit Styropor gepolstert.

Zwei blaue Kisten voller Blutkonserven.

Um 8.30 Uhr kommt ein Fahrer des Charité Facility Managements im Blaumann. Er nimmt die verschlossenen Koffer mit, holt auf dem Weg zum Hof noch zwei blaue Kisten voller Blutkonserven aus dem Kühlraum ab und fährt mit einem kleinen Transporter Richtung Wedding. Rund 20 Minuten Fahrt sind es bis zum Forum 4 auf dem Virchow-Campus. Er trägt die Koffer in den ersten Stock und reicht sie kurz vor 9 Uhr durch ein Fenster ins Labor. Das macht er mehrmals täglich. In der Annahme steht eine MTA, scannt die Röhrchen zur Eingangskontrolle und verteilt sie.

Mehr als 10.000 Proben untersucht das Centrum täglich

Fast im Sekunden-Takt surrt hinter ihr ein Telelift-Kasten auf Mini-Schienen durch ein Loch in der Decke in die Annahme und bringt Proben aus den Nachbargebäuden – die Schienen laufen unterirdisch über den gesamten Campus.

Im Nebenraum schießen außerdem die Notfallproben aus der Rohrpost – der schnellste Weg ins Labor. Und am Fenster steht schon der nächste Bote – er bringt weitere Proben-Koffer aus dem Steglitzer Klinikum. Rush-Hour in der Zentrale des CC5. Mehr als 10.000 Proben untersucht das Centrum täglich.

Für ein kleines Blutbild zahlt die Krankenkasse übrigens laut EBM 40 Cent, für ein großes 90 Cent, erwähnt ein Laborarzt – »davon kann man grad mal das Röhrchen zahlen. Damit sind wir billiger als China.« Andere Länder zahlen dafür 10 Euro.

Bei alarmierenden Werten telefoniert das Labor mit den betreffenden Ärzten. Erkennt die Maschine Ungewöhnliches, verteilt sie ein Tröpfchen Blut auf einem Objektträger, trocknet den Ausstrich und färbt ihn. So kann man ihn schnell unters Mikroskop legen und sich die Zellen noch mal genau anschauen.

Führend bei Lymphom-Diagnostik

Blutbilder und Stoffwechseluntersuchungen sind das Routinegeschäft des Hauptlabors der Charité. Sie machen zeitlich wie finanziell gesehen den größten Teil der Arbeit aus. Prestige aber bringen die Spezialgebiete. Die Lymphom-Diagnostik etwa, »da sind wir weltweit führend.« Tauber spricht mit Stolz über die Forschungserfolge der beteiligten Institute. »Auch allgemein in der Tumordiagnostik und beim Erkennen von Hormonstörungen stehen wir ganz weit oben.«

Preisgekröntes Computer-Verfahren

Und in der tele-hämatologischen Diagnostik. Oberarzt Andreas Weimann etwa testet ein vollautomatisches digitalisiertes Mikroskop, das weltweit nur dieses Labor routinemäßig anwendet. Der Biochemiker hat dafür preisgekrönte Computer-Verfahren entwickelt, mit denen zum Beispiel Ärzte aus allen Charité-Häusern Telekonferenzen abhalten und alle auf dieselben Zell-Aufnahmen aus der zentralen Bilddatenbank zugreifen können.

Das große Vorbild Weimanns, das renommierte Karolinska-Universitätskrankenhaus in Stockholm, hat das System bereits gekauft.

Zusammenarbeit macht CC5 so leistungsstark

Auch die anderen Institute, die zum CC5 gehören, hebt Tauber hervor: Der Lehrstuhl für Hygiene sei einer von nur wenigen in ganz Deutschland, und auch die Gerichtsmedizin sei für die gesamte Region zuständig. Durch die Zusammenarbeit aller seiner Institute sei das CC5 so leistungsstark. Bei allen Qualitätssprüngen und Effizienzsteigerungen: ein großes Problem bleibt die Zersplitterung auf mehrere Standorte. Sowohl das Material als auch Ärzte und Wissenschaftler müssten zu oft zu weite Wege fahren. Das CC5 ist damit groß geworden und hat dafür effizientere Strukturen geschaffen. Aber die Zukunft wird sicherlich noch weitere Strukturveränderungen bringen.

Zahlen & Fakten – Einrichtungen des CharitéCentrum 5

Das CharitéCentrum für diagnostische und präventive Labormedizin (CC5) ist für die labormedizinische Diagnostik verantwortlich. Neben der klassischen Labordiagnostik werden auch nahezu alle modernen analytischen Verfahren angeboten – sowohl innerhalb der Charité, als auch für andere Mediziner. Alle wichtigen eiligen Bestimmungen werden rund um die Uhr in den Notfall-Labors durchgeführt.

– Das CC5 untersucht mehr als 10.000 Proben am Tag (Blut, Urin, Gewebe etc.), 600 Parameter können dabei analysiert werden.
– Das Zentrum besteht aus neun Instituten an drei Standorten der Charité.

  1. Institut für Forensische Psychiatrie (Campus Benjamin Franklin)
  2. Institut für Hygiene und Umweltmedizin (Cam pus Benjamin Franklin)
  3. Zentralinstitut für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie (Campus Benjamin Fränklin, Mitte & Virchow-Klinikum)
  4. Institut für Mikrobiologie und Hygiene (Cam pus Mitte und Benjamin Franklin)
  5. Institut für Pathologie (Campus Mitte)
  6. Institut für Pathologie (Campus Benjamin Franklin)
  7. Institut für Rechtsmedizin (Campus Benjamin Franklin und Mitte)
  8. Institut für Virologie (Campus Mitte und Benjamin Franklin)
  • Ärztlicher Leiter: Prof. Dr. Rudolf Tauber
  • Kaufmännischer Leiter: Toralf Giebe,
  • Leitende MTA: Barbara Zikoll
  • 450 Mitarbeiter
    (ca. 300 Med. Techn. Assistent In nen (MTA), 100 Ärzte und Wissenschaftler, 50 Mitarbeiter in Verwaltung, Logistik, Schreib dienst etc.)

Prof. Dr. Rudolf Tauber

Ärztlicher Leiter des CharitéCentrums für diagnostische und präventive Labormedizin, Direktor des Zentralinstituts für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie. Seit September Prodekan für Forschung der Charité Universitätsmedizin Berlin.

Tauber, Jahrgang 1953, studierte Humanmedizin an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg im Breisgau. Nach Abschluss seiner Habilitation auf dem Gebiet der Biochemie und Pathobiochemie war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg. Da nach wirkte er zehn Jahre lang als C3-Professor für Klinische Biochemie am Institut für Klinische Chemie und Biochemie des Virchow-Klinikums der Medizinischen Fakultät der Humboldt- Universität zu Berlin.

Tauber war außerdem zwei Jahre Direktor für Forschung am Biomedizinischen Forschungszentrum des Virchow-Klinikums, bevor er 1997 dem Ruf auf eine C4-Professur an die Freie Universität Berlin für das Fachgebiet Klinische Chemie und Pathobiochemie folgte. Dort bekleidete er von 1999 bis 2004 schon einmal das Amt des Prodekans für Forschung am Universitätsklinikum Benjamin Franklin.

Von 2003 bis 2007 war er Vizepräsident der FU. Derzeit ist er Mitglied der Senatskommission für klinische Forschung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf dem Gebiet der Zelladhäsion und der Signaltransduktion bei entzündlichen Erkrankungen.

Als größte Herausforderung seiner künftigen Tätigkeit sieht Tauber die noch an stehenden Kürzungen des Landeszuschusses in Höhe von 25 Mio. Euro bis 2010. Dabei dürfe die leistungsorientierte Mittelvergabe nicht angetastet werden.

Schwerpunkte seiner künftigen Arbeit sieht er in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, dem Raum- und Flächenkonzept für Forschung und der Mitwirkung an der Planung der künftigen Berufungen an die Charité.

Tauber ist verheiratet und hat zwei Kinder.