Forschung als Standortvorteil – Kürzlich hörte ich in den USA die Einschätzung, dass ganz neue Biotech-Firmen zur Zeit besser in Europa zu gründen seien: »Es gibt gute Universitäten, hochqualifizierte Leute und den politischen Willen durch starke Förderinstrumente Firmenstarts hinzubekommen“, aber auch: »Wenn es dann an die teuren späten Entwicklungsphasen und die Kommerzialisierung geht, kommen natürlich nur die USA in Frage.“
Da ist was dran und man sieht es an unseren lokalen Strukturen: »Die Region ist führender deutscher Biotech-Standort“ stellt der Berlin-Brandenburger Masterplan selbstbewusst fest und zählt über 160 kleine und mittlere Unternehmen mit über 3000 Arbeitsplätzen auf. Berlin hat also viel geschafft, aber mehr »Substanz“ würde der Branche sehr helfen: Die Stadt ist stolz, Standort von Deutschlands größtem Pharmaunternehmen Bayer Schering Pharma zu sein, jedoch sind die meisten Unternehmen noch klein und die Finanzierung von Wachstum ist trotz guter Gesamtwirtschaftslage schwierig.
Die meisten lokalen Unternehmen verfolgen deshalb Strategien, um sich in dieser Situation erfolgreich einzurichten: Statt extrem aufwändige Medikamentenentwicklung zu versuchen, konzentriert man sich lieber auf Märkte mit reduziertem Risiko und Entwicklungsfinanzbedarf, auf regionale Märkte sowie auf besondere Produktentwicklungsvorteile des Standortes. Solche Märkte sind zum Beispiel Dienstleistungen und Produkte für den Forschungsmarkt, die Diagnostik und Medizintechnikprodukte; dieser Fokus hat sich in der Region bereits entwickelt. Um die aufwendigen späten Phasen einer Produktentwicklung lohnend zu machen, muss Berlin also schneller, besser oder billiger sein.
Der langwierigste und teuerste Produktentwicklungsschritt, ist die klinische Entwicklung. Denn wenn eine innovative Technologie erst einmal auf die Beine gestellt ist, muss beim Patienten Sicherheit, Wirksamkeit und Nutzen nachgewiesen und ein klinisches Netzwerk aufgebaut werden. Ein detailliertes Verständnis von Anwendung und Markt muss entwickelt werden. Das geschieht am besten in einem wichtigen Zielmarkt mit vielen Patienten und in Zusammenarbeit mit renommierten Forschern. Hier kann die Region punkten – durch ihre Größe, die Forschungsstärke, die Charité und Deutschland als größtem Markt in der EU. Besonders kleine Unternehmen profitieren enorm von einem starken lokalen Netzwerk und effizienten Strukturen.
Effiziente klinische Studien sind entscheidend. Kosten und Wert müssen stimmen: Die starken Kliniken in Berlin sind in vielen Indikationen führend und in internationale Kooperationsnetze und Studien eingebunden, das sichert für klinische Entwicklung Kompetenz, Qualität und Wahrnehmung von Ergebnissen. Die Geschwindigkeit entsteht durch gutes Studiendesign, zügigen Start und hohe Fallzahlen. Vor allem beim zügigen Studienstart lässt sich am Standort viel optimieren. Die Vorbereitungsphase klinischer Studien kann sich in die Länge ziehen und die eigentliche Durchführungszeit überschreiten, und das selbst wenn keine langwierige Beantragung von Drittmittelförderung nötig ist.
Ein Kooperationspartner bekräftigte, wie wertvoll es sei, dass seine Studie nach über einem Jahr Verhandlung endlich ethisch genehmigt, vertraglich abgesichert und nun startbereit sei. Da wäre es sicher viel wertvoller für den gesamten Standort, wenn so etwas einfach kein Jahr dauern würde und Anforderungen und Prozeduren klarer wären. Zentrale Studienkoordinationszentren wie zum Beispiel bei der Charité und den Helios Kliniken können diese Effizienz wesentlich steigern, indem Vorgänge standardisiert werden, den Medizinern viele Formalien abgenommen werden und zentral studienerfahrenes Klinikpersonal zur direkten Umsetzung zur Verfügung steht.
Weitere Standortvorteile für die klinische Forschung können etablierte Standards für Patientenbehandlung, Dokumentation sowie für eine mögliche Patientenprobensammlung sein. Für viele Medikamente der nächsten und übernächsten Generation müssen zusätzlich diagnostische Tests entwickelt werden, um sie spezifisch den richtigen Patienten geben zu können. Gerade für die Frühphase solcher Entwicklungen werden nicht nur Patientendaten, sondern auch Patientenproben benötigt, deren aufwändige Sammlung noch immer nicht breit standardisiert ist. Wenn die Kliniken hierfür Protokolle etablieren und Sammlungen zum Beispiel in der Krebsforschung beginnen, werden hervorragende Voraussetzungen für zukünftige klinische Studien in der Region geschaffen.
Klinische Studien sind übrigens nicht immer in Berlin am besten aufgehoben, wie die Praxiserfahrung zeigt: Wenn der Kosten- und Zeitdruck groß ist, bietet Osteuropa oft Vorteile: unkomplizierte, schnelle Studien, wobei die Kliniken stark durch Geld motiviert sind und die Qualitätssicherung aus der Entfernung nicht einfach ist. Wenn eine weltweite Vermarktung angestrebt wird, geht an den USA kein Weg vorbei: Studien sind teurer, in den Top-Zentren konkurrieren oft viele Studien um die Patienten, aber Start und Abwicklung sind meist höchst routiniert und professionell.
Egal ob man Berlin oder andere Standorte in Europa betrachtet, einige Probleme für unsere Biotech-Industrie bleiben: Es gibt bisher zu wenige große Unternehmen mit Erfolgsgeschichten und dadurch insgesamt nur begrenzten Zugriff auf Kapital. Außerdem ist die EU zwar ein sehr wichtiger Markt, aber besteht aus sehr unterschiedlichen nationalen Teilmärkten, und es wird insgesamt weniger Geld für Gesundheit ausgegeben als in den USA.
Gerade deshalb sind Stärken in den genannten Bereichen und vor allem der klinischen Entwicklung so wichtig, um Produkte nicht nur erfolgreich zu erfinden, sondern auch schneller erfolgreich marktreif zu machen. Die generelle Größe des Gesundheitsmarktes und Finanzierbarkeit von Biotech-Unternehmen in Deutschland ist nur schwer beeinflussbar, aber Kosten- und Effizienzoptimierung sowie geschickte Geschäftspartnerschaften können die Basis für wichtige Erfolge sein. In den USA können die großen Biotech-Erfolgsgeschichten wie Genentech und Amgen die ganze Branche mitziehen und sind schon lange in die Königsklasse der Pharmariesen aufgestiegen. Große Markterfolge sind auch hier für die Industrie langfristig entscheidend.