Verlust der internationalen Führungsposition
1. An verschiedenen industrieökonomisch relevanten Indikatoren gemessen, ist die internationale Bedeutung des Pharmastandortes Deutschland merklich zurückgegangen. So haben sich bei Produktion und Wertschöpfung kleinere Pharmastandorte wie Irland, Schweden und Dänemark weitaus besser entwickelt. Seine Führungsposition hat Deutschland auch dadurch eingebüßt, dass es hinsichtlich der Zunahme seiner Wertschöpfung vor allem auch hinter die großen Pharmastandorte wie USA, Großbritannien und Frankreich zurückgefallen ist. Dies gilt bis heute uneingeschränkt für die forschende Pharmaindustrie, während sich die generische Produktion noch vergleichsweise gut behaupten konnte.
2. Deutschland ist zwar nach wie vor ein wichtiger Standort für die Pharmaforschung; allerdings deuten die meisten Indikatoren darauf hin, dass das pharmazeutische FuE-Potenzial und die damit verbundenen Wertschöpfungsmöglichkeiten in Deutschland nicht ebenso konsequent ausgeschöpft werden wie in den wichtigsten Konkurrenzländern.
3. Auch die Indikatoren, die als Ergebnisse der FuE-Bemühungen interpretiert werden können, vermitteln ein ähnliches Bild: Die Anteile Deutschlands an wissenschaftlichen Publikationen und Patenten in pharmarelevanten Bereichen sowie an neu eingeführten Wirkstoffen und am Pharmaaußenhandel zeigen einen Rückstand im internationalen Vergleich. Einziger Lichtblick ist, dass die Qualität Deutschlands als Forschungsstandort von den forschenden Unternehmen immer noch durchaus positiv beurteilt wird.
Überregulierung als Standortrisiko
4. Die GKV-Arzneimittelversorgung in Deutschland ist in hohem Maße über- und fehlreguliert. Das umfangreiche und komplexe Regulierungssystem besteht derzeit aus über 20 einzelnen Instrumenten, die ausschließlich oder überwiegend zur Dämpfung der Arzneimittelausgaben eingesetzt werden. Qualitäts- und Wirksamkeitsaspekte spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle.
5. Die administrative Steuerung der Arzneimittelversorgung erweist sich jedoch zunehmend als inadäquat: Sie gefährdet den Forschungsstandort Deutschland für die pharmazeutische Industrie und beeinträchtigt darüber hinaus auch zunehmend eine effektive und effiziente Patientenversorgung mit insbesondere innovativen Arzneimitteln. Reformpolitisch zu fordern ist deshalb, die Regulierungsdichte auf dem Arzneimittelmarkt deutlich zu reduzieren und für eine konsistente wettbewerbliche Steuerung zu sorgen.
Wettbewerbsgesteuerte Arzneimittelversorgung
6. Dazu bedarf es einer strikt indikationsbezogenen Festlegung von Arzneimittelvergleichsgruppen, aus denen die einzelnen Krankenkassen jeweils eine Anzahl von Medikamenten auswählen können, die sie im Verordnungsfall ihren Versicherten erstatten. Damit stünden die Hersteller aller Medikamente, die zur Behandlung einer bestimmten Krankheit geeignet sind, im Wettbewerb um die Aufnahme in die kassenindividuellen Positivlisten. Die Arzneimittelhersteller werden deshalb in selektive Rabattverhandlungen mit den Kassen eintreten und versuchen, über den Nachweis der besseren Qualität und Kosteneffizienz ihres Präparates eine Listung zu erreichen.
7. Da durch selektives Kontrahieren der Arzneimittelhersteller mit den einzelnen Kassen die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung gewährleistet wird, braucht der einzelne Arzt bei der Verordnung keine Wirtschaftlichkeitsgebote mehr zu beachten. Er kann sich voll auf den Patienten konzentrieren und das im individuellen Fall geeignet erscheinende Präparat verschreiben, sofern dieses in der Arzneimittel-Positivliste der Kasse seines Patienten enthalten ist. Die damit verbundene Einschränkung der Therapiefreiheit des Arztes durch Befolgung der kassenindividuellen Positivlisten ist der „Preis“, den Ärzte und Patienten dafür zahlen müssten, dass die Verordnung von Arzneimitteln sich wieder ausschließlich auf die medizinisch-therapeutischen Belange konzentrieren kann.
Quadratur des Kreises?
8. Dieses Reformkonzept setzt auf eine wettbewerbliche Steuerung der GKV-Arzneimittelversorgung, macht die meisten Regulierungsinstrumente einschließlich der Festbeträge überflüssig und stärkt auf diese Weise längerfristig auch den Pharmastandort Deutschland. Es wurde von den Professoren Cassel und Wille im Rahmen eines Gutachtens mit dem Titel: „Steuerung der Arzneimittelausgaben und Stärkung des Forschungsstandortes für die pharmazeutische Industrie“ für das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) entwickelt (Forschungsbericht 006 des BMG, Berlin 2006; www.bmgs.de) und soll im Laufe dieses Jahres in einem Folgegutachten weiterentwickelt werden.