Eigentlich ganz einfach – Die Epigenomics AG

Für eine erfolgreiche Behandlung von Krebs ist es von besonderer Bedeutung, ihn in einem möglichst frühen Stadium zu diagnostizieren. Dies mit einer einfachen Blut- oder Urinprobe zu ermöglichen, ist Ziel der Berliner Epigenomics AG.

Die Fakten sind eigentlich bekannt.

Darmkrebs ist mit über 70.000 Neuerkrankun­gen jedes Jahr die zweithäufigste Krebserkran­kung in Deutsch­land. Mit ca. 28-30.000 Sterbefäl­len ist Darmkrebs dazu die zweithäufigste Todes­ur­sache bei Krebs. Im Mittel liegt die sog. »5-Jah­res-Überlebensrate« bei etwa 40 bis 60%. Was diese Durch­schnitts­werte verdecken: Die Über­le­bens­wahr­schein­lich­keit weist eine große Band­breite auf und hängt eng mit dem Stadium zusammen, in dem der Krebs diagnostiziert wird. Und diese Bandbreite ist groß: Von 100% bei früh­zeitiger Diagnose über 50-60% im sog. Sta­dium II bis zu lediglich 5% im Stadium IV.

Zu wenig Vorsorge

Obschon die Risiken bekannt sind und die Hei­lungs­chancen klar von einer frühen Diagnose abhängen, wird Darmkrebs meist zu spät erkannt. Die Initiative »Berlin-gegen-Darmkrebs« zitiert Untersuchungen, wonach 90% der Darmkrebs­opfer durch eine frühzeitigere Diagnose und Be­handlung hätten vermieden werden können – das sind über 25.000 vermeidbare Sterbefälle. Deutsch­land sei zudem das erste Land in der Europäischen Union, das ein flächendeckendes Darm­krebs-Vorsorgeprogramm für alle Mit­glie­der von gesetzlichen Krankenkassen anbietet. So besteht für alle Versicherten vom 50. bis zum 54. Lebensjahr die Möglichkeit der Darmkrebs­früh­erkennung über einen Stuhltest, und ab dem 55. Le­bensjahr tragen die gesetzlichen Kranken­ver­si­cherungen die Kos­ten für eine sogenannte Vor­sor­gekoloskopie zur Früherkennung. Warum wird das Angebot aber bei weitem nicht ausreichend angenommen?

Neue Methode gegen alte Hemmungen

Zumindest einige der Probleme: Hemm­schwel­len, Tabus, Angst und Scham. Stuhlproben und die invasiven Koloskopien haben in der Bevölkerung weiterhin keine hohe Akzeptanz. Zumeist wird die Aufforderung zum Test als lästig empfunden und folglich die Untersuchung vermieden. Dem möchte die Berliner Firma »Epigenomics« eine Methode entgegensetzen, die mit einer einfachen Blut- oder Urinprobe mit hoher Zu­ver­läs­sigkeit einen Krebs im frühen Stadium zu erkennen vermag. Ihr Ansatz: »DNA-Methylierungs-Bio­marker«.

Eigentlich ist es ganz einfach

Der grundsätzliche Ansatz von Epigenomics baut dabei auf einem seit längerem bekannten biologischen Vorgang auf. In Kürze: Selbst im frühesten Stadium geben Tumore eigene DNA in die sie umgebenden Körperflüssigkeiten ab. Diese Tu­mor-DNA im Blut oder Urin machen sie zu einem hervorragenden Indikator – oder eben: Biomarker – welcher auf die Präsenz des Tumors hinweist. »Eigentlich ist es ganz einfach«, so Dr. Achim Plum, SVP Corporate Development der Epi­ge­nomics AG. »Der komplizierte Teil fängt an der Stelle an, wenn es darum geht, diese Tumor-DNA zu identifizieren«. Im Prinzip also zunächst das alte Nadel-im-Heuhaufen-Problem.

Doch nicht so einfach

Zum Verständnis des von Epigenomics angewandten Konzepts muss jedoch noch ein weiterer Schritt in die Tiefen der Biologie genommen werden. Einer der vier Genbuchstaben menschlicher Erbsubstanz ist häufig chemisch verändert – oder auch »methyliert«. Bei dieser »DNA-Methy­lie­rung« handelt es sich um eine chemische Ab­än­derung an Grundbausteinen der Erbsubstanz, die verschiedene biologische Funktionen erfüllt. Das Muster der methylierten und nichtmethylierten Bausteine beeinflusst nachhaltig die Aktivität der Gene, sie werden »aus- und angeschaltet«. Da verschiedene Gewebe ein unterschiedliches Muster an- bzw. ausgeschalteter Gene benötigen, entwickelt sich ein klar zu erkennender »Finger­ab­druck« dieser Gewebe – und eben auch ein klarer Fin­gerabdruck (oder Methylgruppenmuster) verschiedener Krebs­formen.

Patentfamilien für die Suche

Die grundlegende Idee und Expertise der Epi­ge­nomics AG – mittlerweile geschützt durch über 150 »Patentfamilien« – liegt in der Entwicklung von Verfahren, welche die abertausenden Methyl­po­sitionen in einer überschaubaren Zeit sichtbar und analysierbar machen konnten. So können die Berliner Genabschnitte ausfindig machen, deren Methylierungsmuster typisch für einen speziellen Tumor ist. Einmal bekannt sollte dieses Muster von Methylgruppen, nachgewiesen durch hochem­pfindliche Verfahren, geeignet sein, auch kleinste Mengen von DNA aus nur wenigen Tu­morzellen einer Blutprobe ausfindig zu ma­chen. Dies ist Epigenomics grundsätzlich gelungen.

Für diese Leistung in einem Feld, in dem lange Projektentwicklungsphasen einzukalkulieren sind, bevor ein Produkt tatsächlich auf dem Markt kommen kann, wurde dem Unternehmen 2002 der Deutsche Gründerpreis in der Kategorie »Vi­sionär« verliehen.

Das Schöne daran ist …

Damit steht grundsätzlich also einer Methode zur frühzeitigen Diagnose von (Darm-)Krebs mit lediglich einer Blut- oder Urinprobe nichts mehr im Wege. »Das Schöne daran ist«, so Dr. Plum, »dass wir mit einem solchen Diagnoseinstrument insbesondere für Darmkrebs einen großen Schritt in Rich­tung verbesserter Gesundheitsversorgung er­rei­chen können.« Die Zauberformel: »DNA-Methy­lierungs-Biomarker Septin 9«. In etlichen klinischen Studien und rund 3500 Blutproben von Darm­krebs-Patienten konnte das Berliner Un­ter­nehmen zeigen, dass methlyierte DNA des Gens Sep­tin 9 im Blutplasma zuverlässig auf die Exis­tenz von Darm­krebs hinweisen. »Der Test ist aber für den Pa­tien­ten nicht nur deutlich angenehmer, er übertrifft auch die Genauigkeit der derzeitigen Standard­ver­fah­ren, die auf dem Nachweis von Blut in Stuhl­proben beruhen«, wie Dr. Plum weiter ausführt.

Blockbuster-Marktvolumen

Das mögliche Marktvolumen einer derartigen Diagnostik ist enorm. »Das ergibt sich recht einfach aus der Zielgruppe, der Notwendigkeit einer regelmäßigen Nachuntersuchung und einer verbesserten Annahme des Verfahrens«, so Dr. Plum. Grundsätzlich wird die Marktgröße konservativ auf etwa 2-3 Mrd. Euro jährlich geschätzt – und ist damit durchaus mit »Blockbuster«-Medi­ka­men­ten zu vergleichen, ohne jedoch deren Risiko bei der Entwicklung, denn getestet wird an Blut- und Urinproben und nicht am Menschen selber.

Schwierigkeiten und Krise

Trotz sehr erfolgversprechender Entwicklun­gen musste Epigenomics auch schwere Phasen durchlaufen. Der größte Schlag war dabei sicherlich 2006 der Verlust des bis dahin wichtigsten In­dus­trie­partners: Roche Diagnostics – Teil des bekannten Schweizer Pharmakonzerns. Die Zusammenarbeit bei der Entwicklung diagnostischer Produkte für die Krebsfrüherkennung wurde vollständig eingestellt. Die enge Kooperation beider Unternehmen bestand bereits seit 2002; nach dem Rückzug musste Epigenomics zunächst ohne Partner agieren. Roche hatte seinen Ausstieg damit begründet, dass die vom Unternehmen vorgelegten Stu­dien­daten den Roche-internen Kriterien für eine Ent­scheidung zur Entwicklung eines diagnostischen Produkts zum damaligen Zeitpunkt nicht genügten hätten. Die weiterhin stetige Anmeldung zentraler Patente und der Abschluss weiterer Koo­perationen scheinen jedoch eine andere Sprache zu sprechen.

Wegmarken auf einem steinigen Pfad

So konnte das Unternehmen Ende 2007 nicht nur weitere wichtige Patente für den ­Früher­kennungstest sichern, auch ein strategisches Lizenz- und Kollaborationsabkommen mit Abbott Mo­le­cu­lar konnte unterzeichnen werden. Im Rahmen der Kollaboration mit Abbott soll nun ein in-vit­ro-diagnostischer Bluttest für die Früherkennung von Darmkrebs entwickelt werden, der auf Epi­ge­no­mics‘ patentgeschütztem Bio­marker Septin 9 ba­siert, eben jenes Biomar­kers, den Roche Diag­nos­tics vormals ablehnte.

In diesem Jahr kam zudem ein wichtiges strategisches Abkommen – ebenfalls für den Darm­krebs­test – mit dem US Unternehmen Quest Diag­nostics zustande. »Wir haben Quest ausgewählt, weil sie für Innovation in der Diagnostik einschließlich der Entwicklung anderer diagnostischer Tests auf Basis von DNA-Methylierung bekannt sind. Sie teilen zudem unser Ziel, Tech­nologien zu entwickeln, die es Ärzten ermöglichen, die Heilungschancen ihrer Patienten durch die präzise Erkennung von Darmkrebs im Früh­stadium zu verbessern«, so Geert Nygaard, Chief Executive Officer von Epigenomics.

Aber nach wie vor steht das wichtigste Ziel des Unternehmens und Zeugnis der Leistungs­fähig­keit der Epigenomics AG aus: die Marktein­füh­rung eines ihrer Produkte. Das soll sich bald ändern. So will Quest Diagnostics bereits Ende 2008 einen Testservice für Septin 9 in den USA an­bieten. Einen besonderen Wendepunkt wird zudem das Jahr 2009 markieren. Das Unterneh­men erwartet dann – durch seinen Partner Abbott Mo­lecular – die breite Einführung des ersten be­hördlich zugelassenen Bluttest für Darmkrebs in der EU – gefolgt von der behördlichen Zulassung in den USA 2010.

Berliner Kleinod

Gesundheitswissenschaften bzw. Life Sciences werden immer wieder als Kernkompetenz der Re­gion Berlin-Brandenburg dargestellt. »Die Ent­wick­lung von In Vitro-Diagnostika kennzeichnet neben anderen Bereichen die Leistungsfähigkeit dieses Life Science-Standorts«, so Dr. Peine, stellv. Leiter BioTOP, »Die Verfügbarmachung neuartiger epigenetischer Marker wird vor allem der prädiktiven Diagnostik einen großen Schub verleihen. Berlins international herausragende Stellung in der Epigenomforschung ist wesentlich durch die Performance von Epigenomics und seinem spin-out, der Epiontis begründet«. Das Potenzial der Epigenomics AG scheint dem Recht zu geben. Jetzt muss dem Unter­neh­men nur noch gelingen, die letzte Hürde mit ihren Pro­dukten zu nehmen und mit der Markt­ein­füh­rung auch ein Statement für seine eigenen Vi­sio­nen zu setzen.

Das Überleben vieler Patienten mit Darmkrebs hängt von einer frühzeitigen Diagnose ab. Da die Produkte der Epigenomics AG diese frühe Diag­nose nicht nur durch erhöhte Genauigkeit, sondern vor allem auch durch eine höhere Akzeptanz der Untersuchung fördern, ist wohl uns allen der Er­folg des Unternehmens auf dem Weg zur Markt­­einführung ihrer Produkte zu wünschen.

 

»CV« Epigenomics

Die Epigenomics AG wurde 1998 gegründet. Die Firma verfügt über ein Verfahren, »Methy­lie­rungsmuster« sichtbar zu ma­chen. Mit dieser Technologie können verschiedene Krebsarten prinzipiell deutlich früher er­kannt werden. Epigenomics be­schäftigt über 100 Mitarbeiter – die meisten davon in Berlin.
Mit der Übernahme von Orca Bioscience im Dezember 2000 hat die Firma ihren Markt­eintritt in den USA befördert.
Im Jahr 2002 erhielt das Unter­neh­men den Deutschen Grün­der­preis in der Kategorie »Visionär«.
2006 ist als Krisenjahr in die Fir­mengeschichte eingegangen. Zu­nächst verabschiedete sich der Firmengründer und Vorstands­chef Alexander Olek aus dem Unternehmen. Als dann Ende 2006 der strategische Partner Roche-Diagnostics die Koo­pe­ration beendete, bedeutete dies für Epigenomics einen Um­satz­rückgang von drei bis vier Mil­lionen Euro – die Aktie brach um 40% ein.
Im September 2007 konnte Epigenomics ein wichtiges strategisches Lizenzabkommen mit Abbott Molecular abschließen
Im Februar 2008 folgte die Li­zenzierung des Darmkrebs-Bio­markers Septin 9 an Quest Diag­nostics.