Churchills Spielgefährtin – Dr. med. Ingeborg Schwenger – Ein Portrait

Zum Aggressionsabbau pflegt sie den alten aristokratischen Pferdesport der Strategen und Schlachtenlenker, Polo. Im Alltag punktet die Medizinerin und Unternehmerin Inge Schwenger in einem anderen Strategiespiel: beim Aufbrechen des verkrusteten Gesundheitswesens. Porträt einer Amazone des Medizinbetriebs.

Die Grausamkeiten zuerst: Dieser Tage wird Inge Schwenger 50. Das entdeckt man allerdings erst lange nach einer Begegnung mit ihr, wenn man irgendwo verblüfft über ihr Geburtsdatum stolpert. Eine „Querulantin“ nannte sie die Berliner Morgenpost, traute sich das aber nur, nachdem sich die Ärztin im O-Ton selbst so eingestuft hatte. In der Welt titulierte sie ein ehemaliger Geschäftspartner einmal als „respektable Unternehmerin und Powerfrau mit einem großen Netzwerk“. Ach, so eine also: Wo andere einen Lebenslauf haben, hat die einen Businessplan.

SimCity, Chaotisches Denken und geplantes Handeln

Das Klischee wird allerdings nicht ganz der Tatsache gerecht, dass Inge Schwenger ihre Zeit gern mal bei Videospielen verdaddelt. Solchen nach dem Muster von „Siedler“ oder „SimCity“. Oder sie liegt einfach auf dem Sofa, die „Unternehmerin des Jahres 2003“, Trägerin des Prix Veuve Cliquot, Gründerin einer wegweisenden Chirurgie-Klinik, Poloclub-Chefin, bekennende Ex-Trotzkistin. Vermutlich nur jemand mit dieser Vita kann die wunderbare Dialektik formulieren: „Ich liebe chaotisches Denken, aber es muss zu geplantem Handeln führen.

Das drückt auch ihre Gestik aus. Im Gespräch ringt und wringt sie die Hände, da formt und knetet die Hobbyköchin imaginäre Teigwaren, und der ganze Körper windet sich wie ein Aal, während diese immer unruhigen Hände in ständig wechselnde Richtungen und Nischen hineinpieksen: einer neuen Idee nachtastend, Bewegungs- und Spielräume auslotend, dann zustoßend. Vergangenheitsformen sind nicht ihre, aber die Sache mit dem Trotzkismus muss doch noch erläutert werden: Das war natürlich zu Studienzeiten, Schwenger war etwa 22, und sie engagierte sich unter anderem gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann und später auch für die Opfer der SED-Justiz. Kein Geld auf der Tasche, die Bank verweigerte ihr schon mal die Auszahlung von fünfzehn D-Mark, aber der trotzkistischen Gruppe zahlte sie brav ihre Monatsbeiträge.

Stay independent!

Bis zum Bruch, der dann radikal war, was auch wie ein Leitmotiv in ihrem Leben aussieht. Brüche mit Menschen und Strukturen, aber nicht mit Haltungen: „Mein politisches Engagement hat sich im Hinblick auf soziale Fragen im Prinzip nie geändert. Ich verbinde es nur nicht mehr mit solchen Sektierergruppen, die semikriminell handeln, indem sie die Suche von Jugendlichen nach Vorbildern ausnutzen, um ihre kleinkarierten und erzdiktatorischen Kader-Bürokratien zu finanzieren.“ Ihre Konsequenz: „Stay independent! Diesen Luxus muss man sich erkämpfen. Dann wächst einem auch ein breites Kreuz.“

Homöopathie und Gesundheitsmanagement

Dennoch ist Schwenger verletzbar – was für sie eine beträchtliche Quelle von Trotz-Energie bedeutet. Beide Söhne hatten als Kleinkinder schreckliche Neurodermitis. Keine Nacht Schlaf, nur Kratzen und Weinen. Die Schulmedizin bot Cortisonsalbe, aber keine Heilung. Die kam dann durch Besuche bei einem belgischen Homöopathen. Der Effekt war so frappierend, dass die Chirurgin und Allgemeinmedizinerin Inge Schwenger noch eine jahrelange Homöopathie-Fachausbildung dranhängte. Sie ging auf Distanz zum etablierten Pillen-System und suchte es gleichzeitig an den strukturellen Wurzeln zu kurieren: „Unter anderem war es die Homöopathie, die bei mir den Entschluss prägte, Medizin nur noch als Hobby zu betreiben und ins Gesundheitsmanagement zu gehen.“

Patientenstromlogistik mit dem Atari

In diesem Feld hatte Schwenger schon einmal ihr Talent bewiesen, als die junge Assistenzärztin eine Tumornachsorge-Sprechstunde im Krankenhaus Moabit aufbaute. Die komplexe Logistikaufgabe einer effizienten und individualisierten Steuerung von Patientenströmen erledigte sie mit ihrem ersten Atari-Computer. Das war eine Fingerübung für die nächste Kraftanstrengung, die nach einem Planungsdrama von sieben weiteren Jahren zu einer der innovativsten Gründungen der jüngeren deutschen Medizingeschichte führte. Es sollte das Projekt werden, das ihren Namen international bekannt machte: die Eröffnung der Klinik für Minimal Invasive Chirurgie (MIC), angedockt an das Hubertuskrankenhaus in Zehlendorf.

Unschlagbare Effizienz

Das Klinikkonzept, für das sie rund 6,5 Millionen Euro bei Banken loseiste – zugunsten ihrer Unabhängigkeit schlug sie andererseits 23 Millionen Euro staatlicher Zuschüsse in den Wind –, bot für das deutsche Gesundheitswesen Unerhörtes: Operationen ausschließlich nach der „Schlüsselloch-Methode“, schonend und Zeit sparend, verringerten die Verweildauer der Behandelten auf wenige Tage oder gar Stunden. Für jeden Patienten gab es schon bei der Aufnahme ein individualisiertes Behandlungs- und Servicekonzept – Schwengers Atari-Erfahrungen hatten Früchte getragen. Die Kostenstruktur, die Behandlungserfolge, die Auslastung der OPs, alles war unschlagbar effizient und ließ die Klinik vom ersten Tag an Gewinne machen. Schwenger hatte zusammen mit zwei Partnern einfach gründlicher über Logistik nachgedacht, über Rentabilität und Hochtechnologie.

Keine triste Routinearbeit ohne Geländegewinne

Bald träumte sie davon, das MIC-Konzept auszubauen und international zu franchisen. Aber immer deutlicher zeichnete sich ab, dass ihre Partner ihre Gangart nicht mitgehen konnten oder wollten. Das ließ die Generalmanagerin der Klinik innerlich zunehmend nach freieren, offeneren Szenarien suchen, und so wurde Schwenger zusätzlich Co-Herausgeberin einer von ihr mit gegründeten Zeitschrift für Medizin und Kultur namens leib & leben. „Für mich war es in erster Linie eine kreative Spielwiese, die ich sehr genossen habe, als Pendant zu diesem immer stupider werdenden Klinikalltag.“ Denn Schwenger ist nicht geschaffen für triste Routinearbeit ohne Geländegewinne. „Als ein Mensch, der lieber Eisenbahnen baut, als dann stundenlang damit rumzufahren, dachte ich: Ich brauche wieder mal was Neues.“ Die Zeitschrift erschien fünf Mal, dann war der finanzielle Atem erschöpft. Man merkt Schwenger an, wie es sie heute noch fuchst, dass sie keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Blattes erhielt.

Steinige Wege

Noch schmerzhafter aber war wohl ihr Ausstieg aus der MIC-Klinik im Jahr 2006. Die Spannungen waren intolerabel geworden. „Natürlich ärgere ich mich auch“, ringt sich Schwenger eine kurze Retrospektive ab, „aber es gibt ja nichts im Leben, von dem man etwas hat, das nicht auch mit Ärger verbunden ist. Wer immer nur eine gerade, gepflasterte Straße geht, der kommt zwar an, aber er verändert sich nicht.“ Auf den steinigen Wegen der Veränderung indes kann die Überzeugungstäterin gehörige Härte zeigen. Das bewies Schwenger zuletzt auf einem pittoresken Nebenschauplatz: als Saniererin des ambitionierten Nachtclubs „Goya“ am Nollendorfplatz.

Nachtleben und Zigarettenrauchen

Das Management unter Vorstand Peter Glückstein hatte den Laden im Jahr 2006 mit exorbitanten Fixkosten schnurstracks in den Ruin gewirtschaftet. Die Rechnung aber hatte man ohne Schwenger gemacht, die dem Nachtleben wie auch dem Zigarrerauchen durchaus zugetan ist: „Glückstein suchte noch Leute für den Aufsichtsrat und fragte mich – leider, denn ich habe hinterher maßgeblich dazu beigetragen, ihn zu entmachten.“ Sie meldete gegen den Willen der Geschäftsführung Insolvenz an und drückte die Kosten radikal, nicht ohne den Club mit einem attraktiven Konzept gerade für eine jüngere Klientel aufzuwerten. Doch bereits nach drei Monaten beendete der Insolvenzverwalter den Rettungsversuch – in ihren Augen viel zu früh.

Visionen und Taten

Statt „rückwärtsgewandter Debatten“ möchte sie aber lieber über Visionen reden, die meist vom Gesundheitswesen handeln. Deren gibt es so viele, dass ihr unternehmerischer Geist seit Jahren im Multitasking-Modus operiert. Etwa den Verein „call a doc“, eine Art Agentur zur Vermittlung medizinischer Betreuung an ausländische Gäste der Stadt Berlin. Schwenger ist Vorsitzende des Vereins, der eine Hotline für Berlin-Touristen mit Gesundheitsproblemen betreibt. Den überwiegend bessergestellten Anrufern werden handverlesene Kliniken und Ärzte vermittelt, die einem gehobenen Service- und Dienstleistungsanspruch genügen und diese Leistungen unmittelbar mit den Patienten abrechnen. Denn laut Schwenger bietet Deutschland, speziell aber seine Hauptstadt, ein eher peinliches Versorgungsniveau: „Wenn man etwa in die Notaufnahme der Charité muss, das wünsche ich niemandem – dabei sind wir in Berlin und nicht Jakarta.“

Neue Konzepte überwinden No-Go-Areas

Mit der Frage, wie sich Medizin im weitesten Sinne marktgerechter und sinnvoller unters Volk bringen lässt, befasst sich auch ihre neue One-Woman-Firma, die Schwenger von ihrem Privathaus in Zehlendorf aus betreibt: die Brainstep GmbH & Co. KG. Das ist eine „Gesellschaft für Concept-Networking“. Was das heißt? An Schwenger treten Kunden heran, die etwa ein neues Gesundheitsprodukt einführen wollen. Weil das aber noch geheim ist, müht sie sich um eine unverfängliche Erläuterung: Angenommen, ähnliche Produkte werden bislang nur in den guten alten Sanitätshäusern zwischen Inkontinenzwindeln und Stützstrümpfen gehandelt. Das wäre schlecht, denn: „Den Sanitätshäusern gebe ich noch fünf oder sechs Jahre, dann sind die weg vom Markt. Da geht man doch nur in Vollkostümierung rein, damit einen keiner erkennt!“ Stattdessen entwickelt Schwenger, nötigenfalls im Netzwerk mit externen Spezialisten, ein Konzept, wie man diese No-Go-Areas links liegenlassen und die Marktneuheit gleich in einem viel attraktiveren Umfeld platzieren kann.

Standort für die Klinik der Zukunft

Aber die Entwicklerin hat noch ganz andere Zielobjekte: den alten Flughafen Tempelhof zum Beispiel. Dieses schwarze Planungsloch im Herzen der Stadt. Bisherige Investorenskizzen sehen für die Umnutzung langweilige Hotels, Kongresszentren und Ärztezentren vor. Ärztezentren? Für ein paar Hausärzte lohne doch nicht mal ein neuer Anstrich in diesem zweitgrößten zusammenhängenden Gebäudekomplex der Welt. Nein, Schwenger sieht hier den Pilot-Standort für die Klinik der Zukunft. Denn: „Das Krankenhaus, wie wir es kennen, ist passé. Wir müssen den Begriff einmotten, weil wir sonst nicht weiterkommen.“

Keine Mauern

Die traditionellen Tausend-Betten-Häuser seien geldfressende Dinosaurier, viel zu unflexibel für die Technologien der Zukunft: „Mein Gott, so einen Hangar, den könnte man doch zu einem völlig neuen OP umbauen. Das ist es doch! Keine Mauern, verschiebbare Wände, wenn die OP-Technologie in vier Jahren veraltet ist, kann man sie einfach rausschaffen und neue rein.“ Und rings herum könnte auf dem riesigen alten Airport eine Art Gesundheits-, Bildungs- und Vergnügungslandschaft entstehen, die zugleich auch dem angrenzenden Problembezirk Neukölln Perspektiven böte. Das alles hat Schwenger schon mit einem sehr finanzstarken und einflussreichen deutsch-amerikanischen Investor besprochen. Nachts hockt sie über den Plänen.

Ihr Vorbild: Winston Churchil

Zuzutrauen ist ihr ein Coup von dieser Tragweite. Sie hat den Schwung, die Aggressivität – und die Inspiration. Nicht umsonst spielt Inge Schwenger Polo, diesen alten aristokratischen Strategensport zu Pferde, dessen Vorläufer in der Antike zum Pflichtprogramm für kommende Imperatoren und Volkstribune gehörte. Sie ist Präsidentin des Berliner Polo Clubs von 1906. Ihr Vorbild: Winston Churchill, einer der besten Polospieler seiner Zeit. Der hat mal  gesagt, im Vergleich sei Golfspielen die beste Art, sich einen Spaziergang zu versauen. Das sieht Schwenger genauso: „Golf macht mich nervös. Je länger das dauert, desto schlechter werde ich, denn mir fehlt die nötige Kontemplation. Beim Polo sind schnelle Entscheidungen gefragt.“ Und so prescht sie weiter – im gestreckten Galopp.

Dr. med. Ingeborg Schwenger
Geboren: 26. Februar 1958 in Bochum

1976 – 1977 Grundstudium Veterinärmedizin, FU Berlin
1977 – 1984 Studium Medizin und Geschichte, FU Berlin
1984 – 1989 Assistenzärztin, Chirurgie, Krankenhaus Moabit
1990 – 1993 Weiterbildung Klassische Homöopathie
1992            Niederlassung als Ärztin für Allgemeinmedizin
1993 – 1997 Planung der Klinik für Minimal Invasive Chirurgie, Zehlendorf
1997            Eröffnung der MIC-Klinik, Ärztliche Direktorin
2000 – 2006 General Manager, MIC-Klinik
2003            Unternehmerin des Jahres (Prix Veuve Cliquot); Berufung in den „Think Tank Gesundheitsstadt Berlin“
2004 – 2005 Mitherausgeberin des Magazins „Leib & Leben“
seit 2003      Vorsitzende „call a doc e.V.“
seit 2006      Gründerin „Brainstep GmbH & Co. KG
Getrennt lebend, zwei Kinder